Bericht vom 19.10.2010
Kunsthaus Stade mit aktuellen Positionen
Painters on the Run - Warum Maler nach Stade fliehen
© Jutta de Vries
Painters on the Run - Warum Maler nach Stade fliehen
„Man sieht: was ich kann, können die schon lange!“ Mit „die“ meint Daniel Richter Kalu Obasi, Nazim Ünal Yilmaz und Anne Cathrin Ullikowski, allesamt ehemalige Studenten an der Akademie der bildenden Künste in Wien, die von ihm als Professor betreut wurden. Und die er für ausgesprochen begabt hält. Ein überzeugender Grund, diesen viel versprechenden Künstlern die Gelegenheit zu geben, ihre Werke einem interessierten Publikum im Kunsthaus Stade vorzustellen.
Daniel Richter hat dabei eine Hauptrolle als Kurator, Professor und Maler, tritt aber dennoch in den Hintergrund - im Mittelpunkt stehen seine ehemaligen Malschüler.
Schließlich ist es erklärtes Ziel der Ausstellung PAINTERS ON THE RUN, Nachwuchskünstlern eine möglichst attraktive Plattform für ihre Werke zu bieten. Und natürlich zeigt Richter hier nicht ohne Hintergedanken erstmals fünf bisher unbekannte Werke aus seiner frühen Schaffenszeit. Diese Werke sind für sich schon spannend. Der eigentliche Reiz besteht im Vergleich, im Aufdecken der Analogien mit den Arbeiten der jungen Künstler Obasi, Yilmaz, Ullikowski. Schließlich befand sich Richter damals in der gleichen Situation wie seine Schüler heute. Diesem Vergleich setzt er sich ganz bewusst aus, wohl wissend (oder hoffend?), dass einigen Besuchern beim Betrachten der Bilder möglicherweise sein eigenes, eingangs genanntes Zitat über die Lippen gehen könnte.
Dass gerade diese drei Schüler aus der immerhin 65 Künstler starken Wiener Malklasse im Stader Kunsthaus ausstellen, ist kein Zufall. Zwei der Drei (Nazim Ünal Yilmaz und Kalu Obasi) haben gerade ihr Diplom mit Auszeichnung abgelegt, Anne Cathrin Ullikowski arbeitet als Assistentin von D. Richter an der Hochschule.
Was aber viel wichtiger ist: sie haben es geschafft, „das, was da als Kunst so tot vor ihnen auf dem Boden liegt, zum Leben zu erwecken“, wie Richter es formuliert. Jeder für sich hat eine eigene Sprache entwickelt, einen ganz persönlichen Weg gefunden, sich selbst und die eigenen Arbeiten wirklich ernst zu nehmen.
Kalu Obasi war anfangs beschränkt „auf das öde Gefängnis seiner Ethnie“ (Richter). Heute hat sich sein Spektrum enorm erweitert. Mit seinen Arbeiten spricht er kulturelle Wahrnehmungskonflikte an, aber auch Fragen der Kontrolle und Vergänglichkeit. Das zeigt sich vor allem bei seinen Werken die mit Feuer, Asche und Ruß arbeiten. Er zeigt kruden Humor, eine allegorische und politische Formensprache, er ist einfach ein hochinteressanter Maler.
Bei Nazim Ünal Yilmaz fällt sofort sein präziser Pinselstrich auf. Seine Kunst ist selbstironisch, intelligent und bedrückend. Er setzt sich in ausschließlich figurativen Werken intensiv mit seinem Heimatland, der Türkei, auseinander, mit den Konflikten zwischen Staat und Religion und der Rolle der Sexualität, einschließlich seiner eigenen Begehrlichkeiten.
Die Verarbeitung von Alltagserfahrungen steht bei Anne Cathrin Ullikowski im Vordergrund. Ein wiederkehrendes Motiv ist die Stadt in abstrahierenden Formen, mittendrin sie selbst. Ihre Malerei ist stark reflektiert und dabei vorsichtig tastend, zum Teil mit romantischen Zügen. Ihre Stärke ist es, subversive Codes in ein Werk zu überführen.
Diese Drei sind die ersten Schüler von Daniel Richter, die überhaupt in Deutschland ausstellen. Warum sie PAINTERS ON THE RUN sind, also auf der Flucht und wovor sie fliehen, ist so leicht nicht zu beantworten. Den Machern der Ausstellung und vor allem Daniel Richter gefiel die Dramatik des Titels. Ein Erklärungsansatz für den Titel ist der Migrationshintergrund der drei ehemaligen Malschüler aus Wien. Für Aufmerksamkeit sorgt das im Fahndungsstil gestaltete Plakat allemal. Und gerade die benötigen junge Künstler mit großem Potential .
Bleibt noch die Frage zu klären, warum die Flucht die Maler ins Kunsthaus Stade führte. Eigentlich liegt es auf der Hand: Das Kunsthaus hat die klassische Moderne und die Gegenwartskunst als Ausstellungsschwerpunkte gewählt. Hier präsentierte schon Daniel Richter selbst (gemeinsam mit Jonathan Meese) 2006 in der „Peitsche der Erinnerung“ seine Werke. Das Kunsthaus ist offen für Gegenwartskunst, es will die Dynamik aktueller Kunst aufzeigen und den Künstlernachwuchs fördern.
Nicht zuletzt ist Stade Teil der Metropolregion Hamburg. Die Ausstellung in Stade ist das erste Projekt von Daniel Richter nach seinem öffentlich diskutierten Umzug nach Berlin. Sein Großstadtpublikum wird nun erneut in die Region eingeladen, wo es sich aufgrund des ambitionierten Programms im Kunsthaus Stade schon seit einigen Jahren zuhause und willkommen fühlt.
Andreas Schäfer
Sebastian Möllers
August 2010
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