Aktuell

News-Archiv
Zurück zur Übersicht
Bericht vom 10.08.2010

sehn sucht nach oben

wie man erdgebunden das Fliegen lernt

© Jutta de Vries

Kunstverein Buxtehude
Marina Buening, Instalation, Graphik – Daniela Monaci, Fotografie-Installation, Video
Sehn sucht nach oben
Ausstellungseröffnung im Zwinger Buxtehude am 7. August 2010
Einführung Jutta de Vries©


Es ist immer eine Freude, gute Freunde, in diesem Fall die Freundin Marina Buening, wieder zu sehen – Sie wissen sicher wie das ist – seit Jahren  hat man sich nicht getroffen, und dann ist es, als ob man gestern noch zusammen war.
Eine besondere Freude ist ein solches Zusammentreffen für mich, wenn die Freundin nicht nur Kunst sondern auch die Kollegin mitbringt, damit ein kongeniales Kunst-Ereignis daraus wird. 
Herzlich willkommen, benvenuti, in Buxtehude, liebe Marina Buening, liebe Daniela Monaci!


Schon zum dritten Mal in 15 Jahren stellt Marina Buening hier im Kunstverein Buxtehude aus, und jedes Mal überrascht sie mit neuen Ideen, Materialien, Darstellungsweisen, wobei sie aber ihrer  künstlerischen Philosophie von den naturbedingten Spuren menschlichen Handelns immer verbunden bleibt.
Wechselvolle Wege haben MB aus einem von Volkswirtschaft und Soziologie geprägten Arbeitsleben in Hamburg hinein in die Bildende Kunst, -  Bildhauerei, Grafik und Installationskunst - und nach Italien geführt. Dort, im Land der Sehnsucht aller Künstler und Künstlerinnen, lebt Marina Büning in der meisten Zeit des Jahres in den Sabiner Bergen und in Rom und findet dort auch ihre künstlerischen Impulse und Themen.


Und nun bringt sie die Poetin und Foto/Videokünstlerin Daniela Monaci aus Rom mit, die an der Universität Turin ein Studium der Italianistik und Literatur abschloß, bevor sie in Rom an der Accademia di bell’arti studierte. DM präsentiert ihre Fotografien wie Installationen, wie Gedichte - und ihre Arbeiten stehen mit denen von MB in einer tiefen Beziehung, ohne dass die Künstlerinnen sich kannten – Erst 2009 lernte MB die Kettenkarussell-Arbeit „musica per occhi“ – Musik für die Augen – kennen, und auch das Video „le strade del cielo“ – die Straßen des Himmels – ergänzen geradezu symbiotisch MBs  „Unendliche Knoten“.


Der gemeinsame Nenner ist die Kette: fotografisch als ins Unendliche strebende Sicherheit, die eine Freiheit des Fliegens gewährt, bildhauerisch als naturgemäßes Eingebundensein in die universale Wiederholbarkeit des perpetuum mobile. Beide Positionen kontrastieren in der Gemeinsamkeit durch gegenläufige Bewegungsmuster und finden unterschiedliche Metamorphosen für das Abheben in die „sehn sucht nach oben“, wie uns der Titel der Ausstellung ja verheißt.
 
MB lässt sich von Schmuckformen in den alten romanischen Dorfkirchen der Sabina faszinieren, den so genannten „keltischen oder langobardischen Knoten“, deren kunstvolle Knüpfungen immer wieder in sich selbst zurück führen. Herkunft und vielfältige religiöse Bedeutung liegen zwar im Dunkel der Geschichte, denn an vielen Orten auf der Welt begegnen wir diesem Gewebe, das wohl in seiner einfachsten Form dem Textilhandwerk entlehnt ist, das Jahrhunderte vor Chr. im keltischen Muttergebiet am nördlichen Alpenrand zuerst auftaucht und wohl zunächst das immerwährende Weltenweben keltischer Schicksalsgöttinnen, der Nornen, versinnbildlicht und damit auf den Rhythmus der Schöpfung, die Unendlichkeit aber auch Unentrinnbarkeit aus der Ewigkeit des Universums hinweist. Dann wurden per Völkerwanderung und Christianisierung die Knoten als Symbole göttlicher Ordnung von iroschottischen Mönchen und ihren Bau-und Schreibschulen aus Lindisfarne oder Iona, aus St. Gallen oder der Lombardei in die christianisierte Welt transferiert und vor allem in Italien verbreitet.
Dass die geometrischen Formen von 4- und 3Pässen, Webbändern oder Sonnenspiralen bis in die Gotik führen, aber auch in der jüngeren Geschichte missbraucht und von rechten Gruppierungen bis heute ideologisch ausgeschlachtet werden, soll hier nur am Rande erwähnt werden.


MB nähert sich diesem unendlichen Formenkanon aus unterschiedlichen künstlerischen Blickwinkeln mit den Mitteln der Installation, der Skulptur und der Druckgrafik, wobei alle drei Medien sich in diesem passenden Ausstellungsrund zu einem gefühlsgeladenen, dichten Environment zusammen schließen. Harmonie entsteht auf mehreren Ebenen: zum einen formal durch die 12-Zahl der von der Decke herab fallenden Ketten mit je vier Knoten in 2 Vierpaß-Varianten, die sich in das Kettengeflecht einbinden, dann die 5-Zahl der Carrara-Marmorblöcke mit Knotenreliefs; mit der 3-Zahl der großformatigen Grafiken korrespondiert dann die 8-Zahl der großen Rundbögen in der Architektur – schon ist die Zahlenmystik komplett, die bereits in der Antike zur Erklärung des Weltgebäudes, zur Reduktion auf das Ideale Maß und damit zum pythagoreischen Goldenen Schnitt geführt hat. So manifestiert sich hier zusammen mit den keltischen Knoten und ihren vielfältigen Knüpf-Formen der Gedanke einer fest gefügten harmonia mundi. In ihr fühlen wir uns geborgen, geradezu meditationsbereit, und durch die lichte Offenheit der Formen empor gehoben.
Die zweite Ebene entsteht durch die Materialität, auch immer mit dem Blick auf das präsente Klosterstein-Mauerwerk des Zwingers. Die sorgfältig skulptierten Marmorblöcke stehen konträr gegen arte-povera Materialien. Mit polierten Licht-Reflexen nimmt der Marmor einerseits Kontakt auf zu den Reflexen der mit gecrashtem Cellophan gesättigten PVC-Seile, setzt sich andererseits ab gegen die stumpfen Baumwollnetzketten und gegen die locker dem Zufall überlassene Deformierung der Knoten- und Leiterelemente und ihren beinahe tanzenden, losen Enden – hier erkennen wir auch die zwei Seelen in der Brust von MB, die als Bildhauerin den klassischen Eigenschaften des Marmors streng nachspürt, aber den  „weichen, armen“ Materialien auch ihre Freiheit, ihre zufällige Eigenwirkung und Entwicklungsbewegung sensibel einräumt und sich damit ganz treu bleibt. In den Grafiken zum Thema finden wir diese Spannung wieder. Die in vernis mou penibel eingedruckten Seil- und Knotenformen werden weiter bearbeitet mit Radiernadel und aquatinta, es entstehen transzendente Innenansichten einer thematischen Imagination. Diese Kunst der Perspektion, der Führung des Betrachter-Blickwinkels in ungewöhnliche Perspektiven hinein, führt auf direktem Weg zu den Arbeiten von DM.


Schon von der engen Treppe aus lohnt sch das innehalten auf der viertletzten Stufe: 
Aus der Untersicht tauchen wir ein in die Himmel über DMs Pinienwipfel. Die großformatigen farbintensiven Fotografien sind wie eine Installation eingerichtet, in der sich der Betrachter mit dem Wald in unterschiedlichen Perspektiven konfrontiert sieht, die ihn schwindelig machen. “Vertigine“, Schwindelgefühle, heißt das Werk denn auch und ist Teil vieler Experimente mit dem Baum-Motiv. Da lösen sich Dinge im Kopf: Die Darstellung des scheinbar Bekannten, der Abbildung einer genauen Wirklichkeit - die wir ja der Fotografie unterstellen – führt bei genauem Betrachten zu Irritationen, zu eben den gewünschten „Vertigine“. Denn Wirklichkeit ist in unserem Zeitalter der virtuellen Welten und digitalen Fotobearbeitung fragwürdig, und daher ist es ein großes Abenteuer, in DMs Foto-Installationen „die eine gültige“ Wirklichkeit zu finden. Denn nicht nur die Künstlerin hat mit ihren digitalen Bearbeitungen, mit der Wahl der technischen Präsentation – hier Fotodruck auf Holz, dann noch mit Pastellkreide gehöht – ihre Blickrichtung, ihre Haltung zur Welt, vorgegeben, auch wir als Betrachter bringen alle unsere Erfahrungen von Wirklichkeit mit ein und schaffen so immer neue Realitäten, die immer wieder neu ins Wanken gebracht werden – das Schwindelgefühl ist vorprogrammiert. „Die Wirklichkeit ist ein noch größerer Schwindel als die Welt des Traums“ sagt Salvador Dali. 
Und hier versucht DM mit Empathie zu vermitteln, beinahe möchte sie den Betrachtern die Illusionen erhalten:
Der Baum nämlich ist für DM ein Symbol für die Balance zwischen der Wurzel, also der Erde und der verästelten Baumkrone als Himmelsraum, eine Verbindung zwischen den Welten also; die Vereinigung von oben und unten; ein Symbol für Gleichgewicht und Harmonie. Seine Wurzeln und Äste bilden den Kosmos, in dem alle Dinge miteinander verbunden sind.
Der Baum ist ein zeitloses Symbol der Erneuerung, der Wiedergeburt und unzerstörbaren Kraft des Lebens. Auch keltische Auffassungen ähneln dieser Symbolik, so dass sich auch hier Verbindungslinien zu MBs „Unendlichen Knoten“ finden. 


Das Mystische im Bereich der reinen Natur klammert den Menschen als Teil derselben im Werk von DM nicht aus. Das erfahren wir in der Foto-Installation der Kettenkarussell-Impressionen, 10 ausschnitthaften Flashlights auf das rasante Vergnügen eines Schwebens zwischen Himmel und Erde – die zentrale metaphysische Grundidee der Künstlerin ist auch hier Basis des Werks. Wie in einer luftigen Collage sind die Teilaspekte des Fliegens auf  Notenständern unterschiedlicher Höhe fixiert, das bringt zusätzliche Schwingungen. Der Betrachter führt den Blick nach oben, die feinsten Grauwerte fangen genau die Lichtverhältnisse im angeschnittenen Gegenlicht ein, die aus den Bildern üer den Rand hinausführenden Kettenteile und die variablen Wolkengebilde führen den Blick ins Unendliche, die Menschen von vorn, hinten, einsam und zu zweit, heizen die Rotation deutlich an – ach, und wer dächte beim ausgestreckten Arm nicht gleich an Michelangelo?  
Stille herrscht hier, trotz fugengleicher Bewegungsabläufe. Nur für die Augen spielt die Musik – „musica per occhi“. 


Dieser Titel könnte auch für DMs Video-Arbeit  gelten – auf den Straßen des Himmels „le strade del cielo“ – kann man sich kaum satt sehen an der Choreographie der anonymen Fußpaare auf den mittelalterlichen Marmormosaikfußböden verschiedener römischer Kirchen. Ein faszinierender Tanz des Lebens auf himmlischen Spuren findet statt im touristischen Alltag, im inszenierten Farbspiel zwischen Stein und Stoff, im besonderen Innehalten auf einem zentralen Meditationspunkt. Jahrhundertealte Appelle sind das an zeremoniehaftes Schreiten auf künstlerisch gestalteter Erde, und ihre Muster verweisen wiederum auf MBs Kreisknotenformen. 
„Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als wir uns träumen lassen“ sagt Shakespeare durch Hamlet. Es ist das Geheimnis, das in der Natur und in der Kunst stets bleibt und in dieser berückenden Ausstellung seinen ganz speziellen Kraft-Ort findet.


Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht