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Bericht vom 08.11.2009

ZeitSPEICHER - Projekt Nikolaifriedhof

Andacht von Landessuperintendentin Dr. Ingrid Spieckermann anlässlich der Eröffnung am 1.11.09

© Jutta de Vries





Andacht anlässlich der Eröffnung von ZEITSPEICHER
Projekt Nikolaifriedhof der GEDOK Hannover Gartenregion 2009
Ruine der Nikolaikapelle, 01. November 2009


Prediger Salomo 3,1-12 i.A.


Liebe Künstlerinnen, liebe Eröffnungsgemeinde,


Ein jegliches hat seine Zeit, 
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; 
abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; 
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; 
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, 
auch hat er die Ewigkeit in unser Herz gelegt; 
nur dass der Mensch nicht ergründen kann 
das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt 
als fröhlich sein und sich gut sein lassen 
in seinem Leben.


Mit diesen tiefen Worten des Predigers Salomo aus dem Alten Testament möchte ich meine kleine Andacht zur Eröffnung der „Installation Zeitspeicher Gartenregion Hannover 2009 Projekt Nikolaifriedhof“ beginnen. 


Heute, am 1. November, für manche unter uns der Tag Allerheiligen, an dem in langer Tradition der bekannten und der unbekannten Heiligen, der von Gott Geheiligten gedacht wird. Am Beginn des Monats, in dem wir am Ewigkeits- oder Totensonntag der Toten ge-denken, die von uns gegangen sind. Und die doch vor Gott nicht verloren sind, sondern mit uns zusammen gehören, in die Gemeinschaft der Lebenden und der Toten.


Und das in einer Welt, die den Tod, das Leid, eher beiseite zu schieben geneigt ist. Lieber alles tut, was Lebensverlängerung verspricht, aber für das lange und das leidende Leben oft keinen Platz hat.


Es hat mich sehr berührt und ich bin sehr dankbar, dass Sie, liebe Frau de Vries als Kura-torin, und Sie, die vier GEDOK-Künstlerinnen Ursula Jenss-Sherif, Erika Klee, Gabriele Klimek und Barbara Lorenz Höfer mit Ihrer Installation Zeitspeicher dagegen ein Zeichen setzen. Dass Sie sich diesen Torso der Erinnerung, dieses lädierte und zerschnittene Ge-dächtnis an die, die vor uns waren, ausgesucht haben: Diese Ruine der Nikolaikapelle – in der heute mit Ihnen zu stehen auch für mich etwas ganz Besonderes ist – , ältestes Gebäude der Stadt, im 13. Jahrhundert erbaut als Kapelle des Siechenhospitals vor den Mauern der Stadt. Um 1325 kam der gotische Chor dazu. Kranke aus der Stadt und auf den Handels- und Pilgerwegen durch Hannover Erkrankte wurden hier gepflegt, beteten hier und wurden hier bestattet. Durchaus ein Arme-Leute-Friedhof – das Grab der Unbe-kannten von Erika Klee erinnert daran. Später erweiterte sich der Friedhof immer mehr, angesehene Bürger der Stadt wurden hier beigesetzt, die noch verbliebenen Grabsteine erinnern an sie. Der Balladendichter Ludwig Heinrich Christoph Hölty war einer von ihnen. Ihm wurde 1901 das bekannte imposante Grabdenkmal errichtet, das sicher viele unter uns kennen. Aber auch anonyme Bestattungen der durch Pestepidemien, Krieg und Not Verstorbenen fanden immer wieder statt. Mitte des 19. Jahrhunderts war der Friedhof nicht mehr erweiterbar, wurde aufgegeben und an die Stadt verkauft. 


Schon damals wurden immer wieder einmal neue Wegführungen geplant. Die Bomben des 2. Weltkriegs zerstörten die Kapelle, allein die Ruine des Chors mit Teilen des Lang-hauses blieb stehen. 1953 schließlich wurde im Zuge der autogerechten Stadt die Verlän-gerung der Celler Straße und der große Kreisel gebaut: Der Friedhof wurde zerschnitten. Ein weiteres Stück der Kapellenruine abgetragen. 


Nun steht sie hier mitten im Verkehr. Unzeitgemäßes Relikt vergangener Zeiten? Oder gerade so irritierender Fingerzeig auf Grunddimensionen unseres Lebens, die nur um den Preis ruinösen Selbstverlusts vergessen werden können: unser Woher und unser Wohin, und das Jetzt der Mitte, die wir nicht festhalten können?


Die Engel auf den Grabmälern. Das Grab der Unbekannten. Die die Weite des zerschnit-tenen Raums überbrückenden Worte aus Hölty-Gedichten, der, ähnlich dem Prediger Salomo, um die Tiefe, die Abgründigkeit und das Geschenk des Lebens wusste. Das zwi-schen Bäumen wehende Schicksalskleid, das weiße Kleid, mit dem wir bekleidet werden an den großen Punkten unseres Lebens: als Taufkleid, als Brautkleid, als Totenhemd. Und das hinweist auf beides: Die Bedürftigkeit unseres Lebens. Und dass Gott uns um-kleidet mit Licht, mit Leben. Und schließlich hier, im Chor der Kapelle, das Epitaph Mutter-land – Vaterland. Das, woher wir kommen und wohin wir gehen und das uns in der Mitte tief in unsere Seele gegeben ist. Und das, wo wir jetzt sind: Heimat auf Zeit. Freude und Glück. Suche und Mühe. Leid und Tod. 


Alles hat seine Zeit. Und braucht doch die Mitte, die wir nur haben im Woher und Wohin, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Daher hier in der Mitte das Schicksalskleid, schwarz wie das Kreuz. Das Leid trägt und Licht. Tod und Leben. Und hinausführt zum wehenden weißen Kleid.


Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit. Auch hat er die EWIGKEIT in ihr Herz gelegt. In ihr Herz. Und an das Kreuz. Leid und Licht. Tod und Leben. 




Lassen Sie uns beten: 


Herr meiner Stunden und meiner Jahre, 
du hast mir viel Zeit gegeben. 
Sie liegt hinter mir 
und sie liegt vor mir. 
Sie war mein und wird mein, 
und ich habe sie von dir. 
Ich danke dir für jeden Schlag der Uhr 
und für jeden Morgen, den ich sehe. 
Ich bitte dich nicht, mir mehr Zeit zu geben. 
Ich bitte dich aber um viel Gelassenheit, 
jede Stunde zu füllen. 
Jede Stunde ist ein Streifen Land. 
Ich möchte ihn aufreißen mit dem Pflug, 
ich möchte Liebe hineinwerfen, 
Gedanken und Gespräche,
damit Frucht wächst. 
Segne du meinen Tag. Amen.




So wünsche ich Ihnen, den Künstlerinnen und der Kuratorin, Ihnen, die heute mit hier sind und allen, die dieses Projekt sehen, Gottes Segen:


Der Herr segne dich und behüte dich,
deinen Leib und deine Seele.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
in Liebe und Güte kannst du leben.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Gott wird dich nicht aus seiner Hand fallen lassen
Tag und Nacht, in Zeit und Ewigkeit. 


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