Bericht vom 29.09.2009
WANDELBAR - Ausstellung im Schloss Agathenburg
Patricija Gilyte, Anna Goebel, Barbara Lorenz Höfer
© Jutta de Vries
WANDELBAR
Patricija Gilyte (Litauen/Deutschland)
Anna Goebel (Polen)
Barbara Lorenz Höfer (Deutschland)
Einführungstext zur Eröffnung der Ausstellung
im Schloss Agathenburg am 26. 09. 2009
©Jutta de Vries
„Wandelbar“ – was für ein Ausstellungstitel!
Abgesehen davon, dass man an einen Ort nächtlichen Getränkekonsums erinnert wird, sagt er
im Grunde genommen gar nichts aus, ist schwammig, ungenau, beliebig.
Wir möchten uns eigentlich genervt „abwandeln, abwendeln“ im Sinn der Wortfamilie, kennen wir doch viel zu viele Beispiele von wechselhaften, sprunghaften, schillernd biegsamen und dann im Ergebnis fragwürdigen oder sogar kriminellen „Wandelbaren“.
Wir bevorzugen das Geradlinige, Logische, Zuverlässige, im Ergebnis rational Kalkulierbare und fühlen uns im Vorhersehbaren wohl und sicher. Festhalten, was wir haben – das ist die menschliche Devise.
Dabei lassen wir ganz außer Acht, dass die Fähigkeit des Wandelbaren für Mensch und Natur überlebensnotwendig ist. Über Jahrmillionen hat die Fähigkeit der Anpassung und Mutation für Kontinuität von Leben auf unserem Planeten gesorgt und wird auch in Zukunft bitter nötig sein, um das Leben auf der Erde zu sichern.
Ein merkwürdiger Widerspruch: um Kontinuität zu sichern, braucht es die ständige Veränderung – schon Einstein sagt uns das: „Nichts ist so konstant wie der stetige Wandel.“
In Bezug auf die Künste sorgt gerade die Fähigkeit und Lust zum Wandelbaren für neue Ideen und individuelles Profil und nachhaltige Qualität – der Überraschungseffekt ist es, der aufrüttelt – das hat auch schon Jan Hoet, einstiger Documenta-Macher, in seiner Kunst-Definition so zusammengefasst.
Die drei Künstlerinnen dieser ganz stimmigen Ausstellung, die aus der Idee eines „Europäischen Traums“ erwachsen ist, sind Patricija Gilyte, Litauen mit Wohnsitz in Deutschland, Anna Goebel aus Poznan/Polen und Barbara Lorenz Höfer aus Buxtehude/Deutschland. Sie thematisieren den Topos des Wandelbaren in ihren Arbeiten wieder und wieder.
Sie sind alle drei Bildhauerinnen, sie untersuchen also das Verhältnis von Masse, Volumen und Licht in Beziehung zum umgebenden Raum, und wie unterschiedlich dieser Begriff heute ausgelegt werden kann, ist an den aktuellen Arbeiten abzulesen.
Patricija Gilyte als Vertreterin der jungen Künstlerinnengeneration ist mit Skulpturen und korrespondierenden, faszinierenden Video-Arbeiten vertreten, wobei die Videos im Grunde die Dokumentation von Performances sind und damit fixiert, zeitlos, wiederholbar, nicht der Veränderung des Materials z.B. durch Vergilben des Schaumstoffs, unterworfen, wandelbar allein in ihren Inhalten.
Gleich bleiben der handelnde Mensch (die Künstlerin selbst) und das Material Schaumstoff, das wir auch real in den zwei möglichen, wandelbaren Ergebnisformen im Raum des Herrschaftssaals hier vorfinden, „Torso“ und „perpetuum home“. Letzteres bezieht sich unmittelbar auf das Video „Ein Zuhause schaffen und verlassen“ von 2001, das älteste, das die Künstlerin mit realen Skulpturen im realen Raum verbunden hat und das auch noch in einem begrenzten Innenraum aufgeführt worden ist. In der Folge sucht Patricija für ihre Arbeiten den weiten Außenraum mit großen klaren Flächen aus Sand, Schnee oder Wasser, der wenigstens angedeuteten Horizontlinie und weiten Himmeln in natürlichem Licht.
Dieses je nach Jahres- und Tageszeit so wandelbare Medium Licht ist für die Plastizität der Bewegungen und der haptischen Qualitäten der differenzierten Materialien und ihrer unterschiedlichen Lichtbrechungen während der Bewegungsabläufe wichtig. Im fast monochromen Farbgefüge entstehen so die feinsten Nuancen, die es achtsam zu erkennen gilt. Nicht ohne Grund heißt die Arbeit im Kabinett „HEED“, also Achtsamkeit.
Es geht in Patricijas Videos nicht um eine Filmerzählung, sondern tatsächlich um Skulptur. Durch die Bewegung wird als Handlung der Entstehungsprozess einer Skulptur dokumentiert, wobei die Bewegung nicht nur vom handelnden Menschen gesteuert wird, sondern ebenfalls abhängig ist von naturgegebenen Zufällen, etwa vom Wind oder von der Schwerkraft. Die Betrachtenden werden Zeugen einer Entstehungsgeschichte von innen her – Skulptur einmal nicht als Abtragungstechnik von Außenmaterial, sondern als Gestaltung der Körper-Raum-Relation aus der zentralen Mitte, aus dem Geheimen, Verborgenen heraus.
Besonders in „HEED 360“ umschreibt die Künstlerin mit ihrer Körperform geradezu choreographisch ein Volumen, das die Maße des Körpers in alle Dimensionen hin ausreizt, vergleichbar etwa der in den Kreis eingeschriebenen Proportionale von Leonardo da Vinci, die berühmte Quadratur des Kreises, die wir ja alle vor Augen haben.
Dass auch die Betrachtungsmodalitäten des Zuschauers wandelbar sind, erfahren wir in „HEED 360“ ebenfalls – hier geht nicht, wie üblich, der Zuschauer um die Skulptur herum, um sie von allen Seiten zu sehen – der innere Skulpturenmodulor, die Künstlerin in ihrem von Wind und Körper modellierten Schaumstoffmaterial, dreht sich um die eigene Achse, um 360 Grad eben, und bietet selbst alle Ansichten dar – das Medium Video macht die Wandlung möglich.
Weiter präsentiert Patricia Gilyte eine zentrale Wandarbeit hier im Herrschaftssaal – „Elbline 16/9“ , Landschafts-Hommage an das hier vor Agathenburg sich hinziehende Flusstal unserer Elbe. Auch hier wieder das bevorzugte Material Schaumstoff; Kuben wie Pixel in Vergrößerung entsprechend dem Video-Format 16/9 lassen in ihrer rhythmischen Verdichtung und auch mit dem Spiel der leeren Fläche an weite Horizonte mit wandelbaren Skylines und kontrastreichen Spiegelungen denken, nehmen sich aber in ihrer Monochromie in sich selbst zurück, wie vergehende Schatten ihrer selbst.
Dass man beim Betrachten kaum um den monumentalen Kronleuchter des Herrschafssaals und seine Schatten herum kommt, hat noch seinen eigenen Reiz.
Das Thema Vergehen und Werden findet sich auch zentral im Werk der Krakauer Kunst-Professorin Anna Goebel. Als Meister-Schülerin der großen Bildhauerin Magdalena Abakanowicz finden Naturmaterialien und auch textile Werkstoffe ihr Interesse. Ihre Arbeiten wenden sich jedoch von der menschlichen Figur zu den kristallinen Konstruktionen der Natur, die sie in Vergrößerungen wachsen lässt und in abstrakten Gebilden überhöht. Materialien und nachwachsende Rohstoffe aus ihrer engeren heimischen Umgebung wie Sand, Reet und Moose, die die Künstlerin selbst erntet und auch aufbereitet (Reet von Blättern befreit z.B.), dazu immer wieder selbst handgeschöpfte Papiere stehen für Anna Goebels Personalstil. Hier im Herrschaftssaal wachsen und kriechen Moose der unterschiedlichsten Gattungen durch ihre Papierträger. Die Module könnten unendlich weiter wachsen, die vielfältigen Strukturen in immer anderen, unerschöpflichen aleatorischen Daseinsformen und Färbungen sich darbieten – „Greeting from the Forest“ ist ein einzigartiges Hohelied auf die Natur, aus der letztendlich auch die Formen der Kunst sich generieren und im Wandelbaren unerschöpfliche Assoziationsvorgänge freisetzen.
Im Durchgangszimmer wächst es ebenfalls, und wenn wir mit unserer Phantasie es wollen, weiter ins Unendliche. Mühevoll, Halm für Halm, wie Tiere ihre Nester bauen, ist hier in den letzten Tagen ein fragiles Konstrukt entstanden, das in luftiger Höhe auch noch immer weiter sich ausdehnen könnte. Baupläne der Natur in sich kreuzenden, überlagernden Halmen werden sichtbar gemacht. Das Gleichmäßige hat keine Chance, das Proportionale aber ist Konzept, nur so ist die aleatorisch wirkende Konstruktion schlüssig, und gibt dennoch die Option frei für die Kontinuität des Bauens, das Wandelbare eben. Diese Offenheit findet sich in der Skulptur selbst. Nicht der Umriss des Körpers, der sich ja im Auge durch die Endpunkte der Reetlinien bildet, ist das wichtigste, sondern die Räume, die sich im innern zahlreich erschließen und aus der grafischen Struktur und der Schattenwirkung heraus das Volumen bestimmen.
Annas Arbeiten feiern die Schöpfung und wirken aus der Stille heraus – geben Sie sich selbst Ihre Zeit zum Betrachten!
Einen Kontrapunkt setzt Barbara Lorenz Höfer. Sie hat ja hier ein Heimspiel und viele von Ihnen werden ihre künstlerische Handschrift unmittelbar erkennen. Ihre voluminös dimensionierten Holz-Papier-Skulpturen finden in Ausstellungen international Beachtung, nicht nur wegen der künstlerischen Qualität und Singularität, denn Barbara vertritt mit einer Anzahl ihrer Arbeiten auch mutig einen gesellschaftspolitischen Anspruch, der sich mit Gender-Fragen auseinandersetzt.
Der seit vielen Jahren variierte Formvorrat eines Gerüstkörpers, der mit variablen Naturpapieren umspannt, unendliche Kontexte vom menschlichen Körper über seine geschlechtsspezifischen Teile, Verpuppungen, Schiffs- oder Himmelskörperformen und noch vieles mehr hervorruft, hat sich nun hier radikal gewandelt.
Eisige Erstarrung nach der Zerstörung ist angesagt in dieser Installation. Die riesige Form ist zerbrochen, ihrer Hülle beraubt, kein Schutz ist da, die Teile als Körperrisse sind ineinander geschoben und bieten wild bewegte lineare Blickbezüge, die den Gesamtraum formend durchkreisen, als wollten sie die Geschichte der Katastrophe nachvollziehen. Die einst auch durchaus kämpferisch gemeinten Spitzen liegen wie gelähmt. Salzbrocken bilden die einstige Form als Schatten rudimentär nach, über allem blaue Kälte.
Das Bloch’sche Prinzip Hoffnung gibt es hier, in diesem „Wüsten Land“ in Anlehnung an T.S. Elliots Drama „The Waste Land“ nicht mehr. Hier bleibt nur noch der letzte Weg offen: ins Salz gehen, wie die Mitglieder der Mongolenstämme, die sich zum Sterben in die Salzwüsten aufmachen.
Barbara Lorenz Höfer ist eine große Geschichtenerzählerin, und die bange Frage, ob unsere Welt so enden würde, wird mit einem Blick zurück in die Vergangenheit relativiert. Barbara wäre nämlich nicht Barbara, wenn sie nicht auch immer unmittelbar auf die Geschichte eines Ausstellungsortes reagierte. Hier in Agathenburg ist es Aurora, die „bemerkenswerteste Frau aller Jahrhunderte,“ die begehrte Tochter und Enkelin des Hauses Königsmarck. An sie, die in ihrem Leben auch viele zerstörerische, enttäuschende und schmerzhaft dramatische Zeiten überwunden hat, erinnern die feinen Schriftzüge von ihrer Hand im Blau der Fenster.
Das Original an ihren Sohn Moritz (aus der Liaison mit August dem Starken, Kurfürst von Sachsen und König von Polen), handelt von der Okkupation der baltischen Staaten. Geographisch also ist es eine Reverenz an die beiden Kolleginnen aus eben diesen Ländern.
Es gibt auch einen Himmelskörper der nach Aurora, der Göttin der Morgenröte benannt ist, ein ausgedehnter, ovaler Asteroid im Hauptgürtel mit kohlenstoffhaltiger, schimmernder Oberfläche. Für die Ausstellung in Auroras Schloss ist er in den Terrassenbereich für uns vom Himmel geschwebt und bringt uns doch noch die Perlen der Hoffnung zurück...
Trotz einer starken Diversität der drei Auffassungen eint die Künstlerinnen die Sensibilität im Umgang und in der Bewußtmachung von Natur, und die Positionierung des Menschen oder seiner Spuren in dieser wandelbaren, sich durch dessen Eingreifen auch mehr oder weniger dramatisch verwandelnden Welt. Der äußere und innere Wandel, das „pantha rhei“ der alten Griechen, wird hier auf konnotative Weise thematisiert: das wird im Herrschaftssaal im Zusammenspiel aller drei Künstlerinnen noch einmal hervorgehoben.
„Welten machen“ hat Daniel Birnbaum als Motto für die diesjährige Biennale Venezia herausgegeben – in Agathenburg könnte das Motto sein: „Welten wandeln.“ Und Welten gibt es ja bekanntlich so viele wie Menschen, jeder und jede macht sich ganz persönliche, eigene Welten und das hoffentlich noch bis in alle Ewigkeit.
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