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Bericht vom 04.06.2007

GEDOK Hannover feiert 80jähriges Bestehen

Jubiläums-Ausstellung "Von Kasten und Kästchen"

© Jutta de Vries

 

 

 

Von Kasten und Kästchen

oder

Wie vernetzt sich 80 Jahre künstlerische Individualität?

 

Gedanken zur Jubiläums-Ausstellung der Fachgruppe Bildende Kunst

Sonntag, 3. Juni 2007

©Jutta de Vries

 

Die GEDOK Hannover wird 80 und will feiern, und auch die Fachgruppen Bildende Kunst und angewandte Kunst wollen ihre künstlerischen Potentiale feiern – aber wie kann deutlich werden, dass  unter dem gemeinsamen Dach der Institution GEDOK jede einzelne Künstlerin ihre ganz individuellen Ausdrucksmöglichkeiten auslotet, und wie wird klar, dass unter dem „Schutzmantel“ der GEDOK ein fruchtbarer Diskurs, ein Vernetzen der künstlerischen Möglichkeiten als große Chance genutzt wird – kurz gefragt, wie wird die Idee einer Werkschau zur harmonischen  Einheit in der Präsentation von Vielfalt?

 

Ganz einfach – Der Kasten muss her.

 

Der Kasten als Aufbewahrungsort für Dinge aller Art ist eine uralte Kulturerfindung der Menschheit, die mit rationaler Denkleistung Ordnungsschemata für Schutz und schnellen Zugriff erfand: Sinngemäß wurde er in einem System logistischer Notwendigkeiten in Jahrtausenden entwickelt und fand je nach Nutzungsabsicht seine oft künstlerisch überhöhte Gestalt: groß und schwer für die Brautausstattung, zierlich für Damenutensilien, reich verziert für Schmuck oder derb gesichert für den Hort an Münzen und Verträgen, kistenartig für das Waffenpotential.  Hier fand alles seinen Platz, Schicht um Schicht konnte man das  gelagerte Gut herausholen und seiner jeweiligen Nutzung zuführen. Bei der gebotenen Mobilität  der Gesellschaft bis in die Neuzeit hinein hatte so ein Kasten den ungeheuren Vorzug des schnellen Zugriffs und der praktischen Transportmöglichkeit.

 

So ein Kasten eignet sich auch wunderbar zum Zeigen von hoch geschätzten Dingen, die in seiner Hülle einen besonderen Schutz genießen, wie wir es von den mittelalterlichen Reisealtärchen oder den späteren Wunderkammer-Kästen kennen. In dieser Funktion wird der Kasten oder das Kästchen aus dem alltäglichen Gebrauchsmodus herausgehoben, eine besondere Bedeutung und Wertschätzung wird ihm zugeordnet, er wird zum „Guck-Kasten“.

 

Die GEDOK-Künstlerinnen haben diese Idee aufgegriffen und eine Vielzahl wundersamer Guck-Kästen geschaffen, die inhaltlich mit dem Jubiläumsgedanken spielen und in Technik und Stil unterschiedlicher nicht sein könnten.

Die einzige Übereinstimmung ist der aus schwarz-grauer Hartpappe bestehende Kasten-Rohling in den Maßen 30x30x1.5 cm mit 5 Passepartouts in verschiedener Qualität und Farbe, die nach der künstlerischen Bearbeitung wieder im Kasten Platz finden können. Im Sinn des „Guck-Kastens“ ist es möglich, das Kunstwerk immer wieder neu zu sehen, indem man den Kasten öffnet und nach und nach die einzelnen Teilwerke zur Betrachtung entnimmt. Nach der Freude an dem Werken wird alles wieder sorgsam wie ein Schatz verwahrt.

An dieser Stelle kommt das Phänomen der Bewegung und der Zeit ins Spiel. Wenn der durchschnittliche Galeriebesucher höchstens 7 Sekunden vor einem Bild verweilt, verleitet das Handeln und „behandeln“ des Kästchen-Inhalts zu ausgedehnter Beschäftigung, zu variablem Spiel etwa mit der Reihenfolge oder der Anordnung im Aussenbereich.

Ein solches achtsames und aufmerksames Umgehen mit der Rezeption von Kunst ist von den Chinesen überliefert, die zum Betrachten ihrer Rollbilder eigens Freunde einluden und während des langsamen Abrollens die Arbeiten diskutierten.

 

 

Bei den GEDOK-Kästen gibt es viel zu diskutieren: über die interessante, durch die Mehrteiligkeit geradezu geforderte variantenreiche Materialbehandlung, über den Einsatz der unterschiedlichen Ausgangswerte Papier, Folie, Wolle, Stoff, Leinwand oder Gummi, die in allen gängigen Techniken von der Grafik über Drucktechniken, Öl- Acryl- Wasserfarben-Malerei bis hin zu Textilkunst, Fotografie und Collage bearbeitet werden, und nicht zuletzt über den Umgang mit der Thematik, wie an einzelnen Beispielen gezeigt werden soll:

Ilse Overmann baut Papier- oder Holzlamellen hintereinander, die sich im interaktiven Spiel mit dem Licht zu immer anderen grafischen Gefügen verwandeln; Gabriele Klimeks  Seismografien sind fotografisch umgesetzte und weiterverarbeitete Niederschriften von Klängen, die auf das Fach-übergreifende der GEDOK verweisen, und Sabine Öllerer geht das Thema ironisch an, indem sie mit einer bestrickenden Teller-Reihe die Anfänge der GEDOK-Bewegung in Erinnerung ruft und die weiblich besetzten Handarbeitstugenden Stricken und Sticken augenzwinkernd in den Kasten mit den alten Zöpfen verbannt. Es gibt auch Arbeiten, die die Dimension der Fläche weit hinter sich lassen, die Enge des Kastens sprengen und ein pralles Individualleben beginnen, wie einst die ersten GEDOK-Künstlerinnen, ermutigt durch die Organisation, die sie stützte: Erika Klee fertigt aus feiner alter Lingerie Ruhekissen mit Durchblick und Öffnung zu Unbekanntem.

Einige Arbeiten sind dem Kontinuum verpflichtet, jeder Bildausschnitt bedingt den nächsten, Deduktives und Additives verzahnen sich aufs Schönste; die komplexen transparenten Arbeiten geben den Blick frei bis auf den geheimen Grund, wie in eine ferne Vergangenheit – oder ist die Zukunft gemeint?  Vieles ist für Sie in diesen Wunderkästen zu entdecken, unzählige Interpretationen sind möglich, denn Kasten als begrenzende Einschränkung heißt auch, dass der Inhalt komprimiert ist und überraschend fragmentarisch, andeutend, bruchstückhaft – die individuellen Ergänzungen bleiben für uns als Betrachter.

 

Nun können Kästen ja auch Schubladen sein, und schnell werden sie zum Ablegen und Kategorisieren von festgefahrenen Meinungen genutzt. An diesem Wochenende haben wir viel Historisches über die GEDOK erfahren, auch mit Meinungen und Zitaten wurde nicht gespart. Und so scheint es mir interessant, einmal aufzuspüren, in welchen Schubladen durch die Jahrzehnte hin und auch noch bis heute die Mitglieder der GEDOK einsortiert wurden und werden.  

 

Tatsächlich haben die Künstlerinnen mit dieser Ausstellung ganz aktuell bewiesen: GEDOK-Frauen sind keine DALI-Schubladenfrauen. Offenheit und Diversität der Bild-Erfindungen fügen sich hier zu einem bunten Kaleidoskop der Potentiale, die jeder Künstlerin den gleichen Raum zuerkennt.

 

Der künstlerische Schatz, der in dieser attraktiven Sonderedition von 200 mehrteiligen Auflageobjekten steckt, ist von Ihnen leicht zu heben, sehr geehrte Herren und Damen. Denn die Jubiläums-Ausstellung bietet Ihnen ein besonderes Geschenk: unter dem Motto „80 Jahre – 80 Euro“, dürfen Sie, die Liebhaber spannender Kunst, ihr Kunst-Kästchen nach Hause tragen.

 

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