Bericht vom 30.10.2006
Pianistin Julija Botchovskaja - Bach und die Moderne
Rathauskonzert am 26.10.06 ist auch Jubiläumskonzert für den Geschichts- und Heimatverein
© Jutta de Vries
Ein guter Gedanke war es schon, im Rahmen der vielfältigen Aktivitäten zum diesjährigen runden Jubiläum des Stader Geschichts- und Heimatvereins auch einen musikalischen Akzent zu setzen. Der Kulturkreis Stade nahm den Jubilar bei seinem Oktober-Rathauskonzert also gern mit ins Boot, eine schöne Geste, aber ohne sichtbare Wirkung: der kaum halb gefüllte Saal signalisierte Feiermüdigkeit.
Dabei war das Programm gut durchdacht – Ligeti und Schostakowitsch in ihrer Auseinandersetzung mit dem „Wohltemperierten Klavier“ des großen Johann Sebastian Bach.
Und mit der Künstlerin des Abends, der schönen Pianistin Julija Botchkovskaia, war der temporäre Star unter den Professoren der Hamburger Musikhochschule verpflichtet worden.
Die hochkarätige Ausbildung in der ehemaligen Sowjetunion und an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, unterschiedlichste Preise und Auszeichnungen und ausgedehnte Konzerte auf den Podien der Welt haben die gebürtige Ukrainerin bekannt gemacht. Ihre Virtuosität ist geradezu staunenswert.
Auch in Stade entfachte sie das große Feuerwerk virtuoser Raketen und Feuerbälle. Vor soviel Kraft und manuellem Können konnte fast der Atem stocken, und das ist es ja zunächst einmal, was jeden Liebhaber in Verzückung versetzt. Aber Kunst kommt nicht nur von technischem Können, sondern ist im Musiker-Alltag auch die Intelligenz, aus dem Notenbild herauslesen zu können, was ein Komponist wohl gewollt hat. Viele große Interpreten haben das immer als ihre eigentliche Lebensaufgabe gesehen.
Um Bach sind jahrzehntelange Diskussionen und Glaubenskriege um Interpretationsfragen im Gange, die alle etwas für sich haben, wenn sie nur schlüssig vertreten werden.
Julija Botchkovskaia hält sich von allen Ansätzen fern, nicht die historisierende glasklare Spielweise ohne Pedal, aber auch nicht die alte saftig-runde russische Schule können sie locken. Ihr Spiel ist Orgelgebraus, mit vollem Werk von Anfang bis Ende. Da erhält keins der drei Präludien, keine Fuge und auch nicht die anschließende Partita G-Dur Profil, keine Linie ist zu verfolgen, keine Dynamik erkennbar. Dieser Ansatz wird als Interpretationsvorschlag hoffentlich nicht Schule machen.
Ganz anders kamen da die Etudes pour piano Nr. 2,4,5 und 6, die György Ligeti 1985 schrieb. Hier hatte die Künstlerin ein klares Konzept, hob die komplexen Strukturen und die vielrhythmischen Überlagerungen deutlich hervor, steuerte sensibel den Klang der minimalen polyphonen Rückungen und entführte die Zuhörer tatsächlich in Ligetis Mehrdimensionalität. Auch Schostakowitsch, der sich mit seinen Präludien und Fugen op. 87 klar auf Bach bezieht, gelang schön, wenn auch farblich und dynamisch mitunter verkürzt, aber kraftvoll und mit der Kennerschaft der russischen Mentalität.
Viel Beifall und Bravos gab es für viel Klavier – immerhin ist endlich das 20. Jahrhundert in unseren Konzertsälen angekommen.
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