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Bericht vom 28.09.2006

Ingeborg Dammann-Arndt. Raum der Striche

Text zur Ausstellungseröffnung 28. September 2006

© Jutta de Vries

 

Galerie 149, Bremerhaven

Ingeborg Damman-Arndt

Raum der Striche

Einführung in die Ausstellung

Kunst am anderen Ort in der Langestr. 95/97, Bremerhaven

28. September 2006

©Jutta de Vries

 

 

Die Galerie 149, meine sehr geehrten Herren und Damen, geht fremd in diesem  Spätsommer. Sie verlässt ihre schnuckelige Galerie in der Bürger und macht mit dieser Ausstellung ein besonderes Wahrnehmungsangebot, das sich mit der situativen Innenrauminstallation auf ein weitgehend neues Terrain in der Ausstellungslandschaft begibt. Ortsspezifische Kunst oder wie es früher mal hieß, Kunst am Bau gibt es ja schon immer, in Außen- wie in Innenräumen. Dabei handelt es sich aber oft um beliebig austauschbare, rein alltagsästhetizistische Angebote. In jeder Stadt sind sie weit verbreitet, und sicher fallen Ihnen auch Beispiele für diesen rein schmückenden, optischen Kunstraumbegriff in Bremerhaven ein.

 

Hier in dem leer stehenden Ladenobjekt in der Langen Straße ist alles ganz anders. Die Künstlerin Ingeborg Dammann-Arndt hat für sich und die Galerie 149 einen lang gehegten Wunsch Wirklichkeit werden lassen, indem sie einen Innenraum in den architekturgebundenen Kontext künstlerischer Gestaltung stellt und das Objekt dadurch grundlegend verändert, ohne in die Architektur direkt einzugreifen. Es ist zwar „nur“ ein Raumkunstwerk auf Zeit entstanden – nach Ablauf der Ausstellungszeit wird der mietbereite Zustand wieder hergestellt, nachdem der künstlerische Prozess  dokumentiert wurde, dokumentiert in einem sehr interessant gestalteten Katalog, der gerade druckfrisch erschienen ist – das ist alles, was bleibt. Aber zwei grundlegende Dinge sind der Künstlerin mit dieser Arbeit gelungen:

Zum einen stellt sie damit die Unmittelbarkeit von Raumerfahrung für uns Rezipienten  wieder her, indem sie (Zitat Diss. Katja Noltze 2006, zu einem ähnlichen Projektgedanken) „die besonderen Potentiale der Gegenwartskunst für synthetisierende Wahrnehmungsleistungen eines sich in installativen Kontexten bewegenden denk- handlungs- und wahrnehmungsoffenen Subjekts, das seinen Leib als Sensor und Knoten in die ephemere Raumwirkung einbringt“ zur Verfügung stellt, ausreizt, fordert.

Zum anderen gibt es eine gesellschaftskritische Komponente. So eine Arbeit lässt sich ja nur in einem leeren Raum realisieren. Mit der Wahl des Ortes in der Lange Straße weist die Künstlerin auf die vielen leer stehenden Ladenlokale und die damit für die Bevölkerung verbundene zunehmende kommunikative Abstinenz in Lehes einstmals blühender Hauptstraße hin.

 

In Zeiten gravierenden gesellschaftlichen Wandels mit Ergebnissen wie der Zentralisierung des Marktes von den Shopping Malls bis zu den Discountern auf der grünen Wiese, in Zeiten von Konsumgut-Tycoons und Globalisierung mit den daraus auch folgenden Steigerungsraten der Arbeitslosigkeit, die ja auch besonders im hiesigen Raum zu schaffen macht, in Zeiten schwindender Werte ist es besonders wichtig, wieder einmal einen Schritt nach innen zu gehen.

 

Ingeborg Dammann-Arndt macht uns mit ihrem „Raum der Striche“ ein solches ganz persönlich fühlbares Wahrnehmungsangebot, das „individuelle Handlungs- und Gestaltungsprozesse auslöst und so Ort, Zeit und Leib-Körper des wahrnehmungs- und gestaltungsfähigen Subjekts in den Mittelpunkt stellt“ (Zitat  Katja Noltze a.a.O. 2006).

Wie der Künstlerin das gelingt, will ich im Folgenden beleuchten.

 

Ingeborg Dammann-Arndt ist Grafik-Designerin. Die zeichnerischen Mittel Punkt, Strich und Linie zur Klärung von Gegenständen, Situationen und Sachverhalten in der Fläche für den Bereich der Kommunikation sind ihre vertrauten Arbeitsmittel.

 

Ingeborg Dammann-Arndt ist aber auch Bildhauerin und hat es hier mit Masse zu tun, mit Körper und Raum, mit Volumen und Plastizität, die als Ganzes in ihrer Wirkungsweise eindringen in den sie umgebenden Raum, der wiederum respondiert.

 

Eigentlich sind beide künstlerischen Bereiche völlig verschieden. Der eine bezieht sich auf die Fläche, der andere bedient die Dreidimensionalität von Körper und Raum.

 

Eine verbindende Möglichkeit wäre die Bildhauerzeichnung, die das Volumen einer Skulptur in der Zweidimensionalität der Fläche antizipierend skizziert.

 

Ingeborg Dammann Arndt geht  in der vorliegenden Arbeit weit darüber hinaus und stellt eine ganz eigene Symbiose künstlerischer Ausdrucksformen her. Es verbinden sich die grafische Plastik und die Volumenzeichnung, die den realen Raum im Wortsinn gestalten: der Raum wird hier zur künstlerischen Basis, zum Zeichengrund.

 

Er ist der „Raum der Striche“ und gleichzeitig der „Raum der Körper“, er wird durch die grafische All-Over-Technik zum Kaleidoskop eines imaginären Isotops, das selbst wieder Körper und Raum suggeriert. Innenraum und Außenraum sind austauschbar, verlieren die klare Definition. Deformierung und Verzerrung lassen rechte Winkel stürzen und geben der sicheren Wand keine Chance. Der mitbearbeitete Boden schwankt unter den Füßen im begehbaren Raum, nichts ist mehr stabil. So wird der „Raum der Striche“ zu einer Metapher für die Zeichen unserer Zeit.

 

Die Verwandlung vollzieht sich langsam in mühevoller, minimalistischer Kleinarbeit. Beim Betrachten, beim „Im-Raum-Sein“ werden Zeit, Wachstum und Bewegung thematisiert und experimentell erfahren. Die Arbeitszeit wird durch die Deutlichkeit jedes einzelnen Strichs sichtlich vorstellbar, aber auch die rhythmisch-monotone Tätigkeit des „Strichelns“, - und  tief im Innern schleicht sich die reaktionäre Frage ein nach Sinn oder Unsinn eines Automatismus von diesen Ausmaßen, der auch für die strichel-gewohnte Künstlerin eine echte Herausforderung war. Das war im besten Fall meditativ: „ich brauche die Striche“, verrät die Künstlerin, „ich bin regelrecht süchtig danach“,  konnte aber auch schon mal an die körperliche und geistige Substanz gehen.

Aber es fallen einem dann auch gleich die Dadaisten und Futuristen um Max Ernst, Marcel Duchamp oder Boccioni ein, die mit ihren „peintures automatiques“ zu Beginn des 20. Jh. den Boden für Ingeborg Dammann-Arndts Raum-Ideen bereitet haben.

 

Über 50 Graphitstifte – hier sind die Stummelrelikte als readymades im Klarsichtbeutel zu testieren - verbrauchen sich als Spurgeber für die rhythmisch schwingenden, geschwinden Formstriche, die zart flirrende Atmosphäre wie kompakte Masse bilden können, die sich an den Kontaktstellen verdichten, mit Hell-Dunkel-Effekten und Richtungswechseln spielen, aber keine harten Kontraste fordern. Denn nicht eine starke Kontrastwirkung, sondern der gleichmäßige Druck des Spurgebers Graphit  ist der Künstlerin wichtig. Durch die Ähnlichkeit der Formstriche und ihre variablen Abstände zueinander entsteht dann die dezidiert geplante plastische Wirkung von Volumen.  

 

Das vorher andeutungsweise skizzierte Konzept wird durch den freien Fluss der fast automatisierten Hand locker und sanft überspielt, zufällige Formationen entstehen, durchsichtige faltig-wellige Gespinste erinnern an Geologisches, Stoffliches und Metaphysisches. Sie sind aber keine Spiegelbilder der Natur, sondern neue Tatsächlichkeiten. Stehen wir da gesammelt und aufmerksam im Mittelpunkt des Kunstraums, wird er unversehens zu unserer persönlichen, individuellen  Wirklichkeitserfindung – das Abstrakte wird für uns Betrachtende „konkret“.

Unterstützt werden diese Erfahrungsmöglichkeiten durch die konsequente Abwesenheit von Farbe, es gibt nur strenge „Schwarzarbeit“ (das ist übrigens der Titel einer Bodenarbeit von 2004 der Künstlerin, der auch hier genau passt). Schwarz und weiß, sonst nichts, und mit Hilfe der Entäußerung aller überflüssiger Ballaststoffe verbinden sich reine Materie und heiterer Geist in einer erstaunlichen Leichtigkeit des Seins.

 

Diese und viele ganz individuelle Erfahrbarkeiten wünsche ich uns allen nun im „Raum der Striche“.

 

 

 

 

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