Bericht vom 02.03.2006
Christine Taplick - Mixed
Ausstellung in der Ärztekammer Niedersachsen Hannover - Einführung am 2. März 2006
© Jutta de Vries
Die Malerin Christine Taplick möchte ich Ihnen, meine sehr geehrten Herren und Damen, heute vorstellen. Sie lebt und arbeitet in Hannover, hat hier auch an der Fachhochschule freie Malerei und Bildhauerei studiert und ist mit zahlreichen Ausstellungen an die Öffentlichkeit getreten. Sie ist Mitglied in der Künstlerinnen-Vereinigung Gedok.
In der Stadt hat sie sich einen besonderen Namen gemacht durch sozio-kulturelle Kunst-Projekte, die sie erfolgreich für verschiedene Sozial-Träger mit Jugendlichen durchgeführt hat. Diese pädagogisch geprägte Arbeit, die in den sozialen Brennpunkten Hannovers einen besonderen Stellenwert für die Ich-Erfahrung und Persönlichkeitsbildung von Benachteiligten und Minderheiten hat, ist für die Künstlerin eine wichtige Aufgabe. Mit ihrer positiven, offenen Zuwendung ist sie hier die „richtige Frau am richtigen Platz“. Für dieses Jahr ist ein neues Projekt geplant, das sich an Migrantinnen wendet, die noch kaum die deutsche Sprache verstehen. Hier soll versucht werden, Erfahrungswerte und Gefühle im Gestaltungsprozess unter dem Thema „Lebensstoff“ mit Geschirrtüchern bildhaft umzusetzen. Durch kreative Mitteilungsformen können so Barrieren aufgebrochen und das Fremde benannt und greifbar gemacht werden – ein erster Weg zur Integration.
Neben der gar nicht hoch genug zu bewertenden sozio-kulturellen Stadtteilarbeit darf aber Christine Taplicks eigene künstlerische Arbeit nicht vergessen werden – es ist schön, dass wir heute an diesem noch winterlich dunklen Tag und an einem klinisch strengen Ort eintauchen dürfen in einen wahren Farbenrausch, in die Wärme und Fruchtbarkeit des Südens, den Duft der Blüten und Pflanzen, den Glanz der Sonne, der sich in den Bildräumen spiegelt, kurz gesagt – wir sind im Paradies.
Paradiesdarstellungen mit Blüten und Ranken kennen wir in vielen Kulturen. Sehr sinnfällig gibt es sie im Islam, den das Darstellungsverbot für Menschen in besonders kunstvolle Höhen des Vegetabilen zwingt; aber auch im frühen Christentum erscheint das Motiv in den goldgrundigen Vignetten der Buchmalerei und seit der Romanik in der Ausgestaltung von Kirchengewölben und Wandzonen. Alles das finden wir hier wieder:
Die Motive der in sich verschlungenen, der wachsenden Ranken, das Blätterwerk der Fruchtbarkeit, Blüten in vielfältigen Formen als Sinnbilder für Lebensfreude und Kraft, Spiraliges deutet auf die Ewigkeit, den Kreislauf von Werden und Vergehen.
Gleichwohl ist es nicht Natur, die hier abgebildet wird, und es handelt sich auch nicht um Gegenständlich fassbare Aussagen.
Sehen wir und einmal an, was dargestellt ist: Die Malgründe werden mit vielen Lagen reinbunter Acrylfarbe gestisch geschichtet; es entsteht Tiefe und leuchtende Farbigkeit. Hier hinein setzt die Künstlerin ihre reduzierten Formen als Ornament, die floralen Elemente werden typisiert, schematisiert, in einen Rapport gesetzt. Die Reproduzierbarkeit des Gemeinten wird übersteigert durch den scheinbar beliebigen Einsatz von Schablonen, deren stereotype Formen im Bild gegeneinander und übereinander fließen. Durch dieses Prinzip entstehen zufallsgesteuerte Ballungen und Streuungen, die den formalen Eindruck bewegter Tiefe hervorrufen (Komm tanzen). Aber auch die mehr oder weniger strenge Anordnung in Reihen und Bordüren findet sich (Anjuna Market, Verbunden). Es entstehen diagonale, vertikale oder horizontale Blickrichtungen zusätzlich zur Tiefendimension.
Es sind aber nicht nur diese stereometrischen Möglichkeiten, die das Auge in Bewegung halten, es sind auch die kleinen Überraschungen, mit denen das genaue Betrachten belohnt wird: da gibt es eincollagierte Schmuckpapiere, kreisrunde Stoffstücke, Seide oder Nepalpapier. Es finden sich Glanzbilder, wie wir sie als Kinder früher gesammelt und getauscht haben – „Liebesmarken“ nennt Christine Taplick sie - in Form von Schmetterlingen oder kleinen Genien. Suchen und Finden heißt eins dieser Bilder, und da kommt einem das Picasso – Zitat in den Sinn „Ich suche nicht, ich finde“. So geht es Christine Taplick auch beim Arbeiten – sie erzählt, dass sie oft ohne Konzept anfängt, und dann „finden sich“ Bildaussage und formale Gestaltung im „Mixed“.
Und es gibt die Farbe, die mit starkem Appell eingesetzt wird, wie es im Mittelalter ja auch der Fall war – reinbunt, gesteigert durch Zusatz von reinem Farb-Pigment, wie es besonders wirkungsvoll in der Blauen Stunde erfahrbar wird; das macht das phantastische Lapislazuli-Pigment, das einst so wertvoll war wie das Purpurrot und von den Künstlern im Tresor verwahrt wurde. Die synthetisch hergestellten Pigmente heute sind zwar nicht ganz so kostbar, haben aber ganz ähnliche, soghafte Wirkungsweisen und können den Betrachtenden in unendlich meditative Tiefen führen. Kräftig werden auch die Farbkontraste ausgereizt, kalt-warm, komplementär, hell-dunkel; auch die Valeurs einer Farbfamilie spielen eine wichtige Rolle – die Aussage changiert zwischen schrill oder aufgeregt und sanft fließend, wobei auch das Süßliche eines Bonbonrosa keinesfalls fehlen darf: wie das Leben eben so spielt. Christine Taplick traut sich, mit den Farben zu spielen, auch mal die überlieferten Maßstäbe des Kunstbegriffs über den Haufen zu werfen und „ohne Zwang und Konzept alles unbekümmert zu mischen“, wie sie sagt. Unbewusst entstehen aber dennoch schlüssige Kompositionen – und das ist es ja, was im Wesentlichen das Künstlerische eines Werks ausmacht.
Überhöhung und Transzendenz erfährt es noch zusätzlich durch den teils üppigen Einsatz von Gold, Sinnbild für das rein Göttliche an sich, dem ja auch Heilkräfte zugesprochen werden. Und es gibt den Silberglanz unzähliger klitzekleiner Spiegel in verschiedenen Formen, die wie Samenkörner in der Vegetation verstreut sind und das Licht einfangen.
Spätestens hier wird deutlich, dass wir es sozusagen mit einem Gleichnis zu tun haben, mit einem Gleichnis von der Schönheit des Universums, mit einem Gleichnis vom Wunder der Schöpfung, von der Kraft und dem Zauber des Lebens: also einem Gleichnis paradiesischer Ideale.
Christine Taplicks Vorstellung vom Paradies als einem üppigen Garten der Überfülle, einer gewünschten heilen Natur, einer nicht problematisierenden, heiteren Daseinsfreude als Teil dieser Fülle hat einen Namen: Asien, und in dieser Ausstellung ganz besonders Indien.
Christine Taplick:
„Durch meine vielen Reisen bin ich infiziert mit dem Virus des Schönen, Bunten, Grellen, dem Mustermix jeglicher Art. Es ist mir absolut ein Rätsel, wie die Menschen es schaffen, trotz größtem Mangel sich zu schmücken, und sei es nur billiger Plastikschmuck, sich wunderschön zu kleiden und mit einer Anmut sich zu bewegen. Es ist diese unglaubliche Fähigkeit, noch im härtesten Alltag an Schönheit zu denken und sie zu zelebrieren“.
Ganz ähnliches hat Henri Matisse beschrieben, als er um die Wende zum 20.Jt. das orientalische Nordafrika bereiste und das Licht, die kompromisslose Leuchtkraft der Farben und die überbordende Schönheit der Stoffe und ethnisch überlieferten Muster für sich und sein Werk entdeckte. Seitdem sind aus seinem Werk die Dekorationen, der Mustermix als Überfülle der Sinnesreize nicht wegzudenken, besonders denkt man in diesem Zusammenhang an die sogenannte Odalisken-Periode. Hier überlagern die Dekorationen die Gegenstände und überfluten sie geradezu abstrahierend. In den „Notizen eines Malers“ träumt Matisse „von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe ohne sich aufdrängende Gegenstände, von einer Kunst…die eine Erholung für das Gehirn (ist), so etwas wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich von physischen Anstrengungen erholen kann“.
Gut 100 Jahre nach Matisse entdeckt Christine Taplick ihren Orient.
In ihren Arbeiten ist der reale Raum verschwunden, den es bei Matisse ja noch gibt. Die Stoffe, die Kleider, die Blütenteppiche, die Pflanzen-Vegetation und die Arabesken sind ausschnitthaft vergrößert, nehmen den gesamten Bildraum ein und überfluten ihn noch: und wenn man so will, sie ranken und blühen unermüdlich weiter, ins Unendliche der Vorstellungskraft.
Die überwiegende Anzahl der Arbeiten (nur vereinzelt präsentiert die Künstlerin Werke aus anderen Schaffensphasen wie die beiden edlen Venedig-Bilder oder das elegante Damenwahl), ist in den letzten Wochen und Monaten als Verarbeitung einer intensiven Reise nach Goa entstanden In den Titeln schwingt die Erinnerung : Monsoon Wedding als üppig ausgeflippte Hochzeitsgesellschaft, Green House als völlig unter Pflanzen und Blüten zugewachsene Behausung, die Ajuna Market-Serie als bewegtes Gewusel von Marktatmosphäre, Lieblich ist das Vorbeihuschen zart-scheuer indischer Mädchen. Kitchen Stories erzählen von der heiteren Geschäftigkeit des Personals im Guest House, Fleissiges Lieschen und Morgenstund hat…erinnern an die fleißigen einheimischen Frauen im geblümten Kattun, am sonnigen Strand, in Haus und Hof.
Das sind Christine Taplicks Paradiese, meine Herren und Damen.
Aber die tiefen Räume der strahlend bunten Glitzerwelten voller gestalteter Lust reflektieren in ihren unzähligen Spiegeln jedes ureigene, ganz individuelle Paradies – daher lade ich Sie ein: reflektieren Sie sich ganz einfach in Ihr ganz eigenes Paradies hinein, die Künstlerin lockt sie heute mit ganzer Intensität.
Feiern wir mit ihr das Fest der Lebensfreude!
Fotos:Christine Taplick
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