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Bericht vom 17.11.2021

Die Kunst der leisen Gewalt an Frauen in der Kunst

Vortrag mit Bildbeispielen zur Woche gegen Gewalt an der Vincent-Lübeck-Schule 1994 Reloaded 2021 für SI-Stade-Clubabend im November ©Jutta de Vries

© Jutta de Vries

 Die Kunst der leisen Gewalt an Frauen in der Kunst
Vortrag mit Bildbeispielen zur Woche gegen Gewalt an der Vincent-Lübeck-Schule 1994
Reloaded 2021 für SI-Stade-Clubabend im November
©Jutta de Vries


Daß es rüde und brachiale Gewalt an Menschen und besonders an Frauen und Mädchen zunehmend in unserer Gesellschaft gibt, ist uns nicht erst seit Sarajevo klar. Wie wir mit Gewalt umgehen wollen, ist ja auch Gegenstand zahlreicher Vorträge und Diskussionsbeiträge an diesem Vormittag.


Ich möchte Sie sensibilisieren für eine ganz andere sträfliche – aber, weil „leise“ – nicht strafbare Art der Gewalt, die sich besonders gegen Frauen richtet. Mir geht es um eine ganz bestimmte Gruppe von Frauen, nämlich die Bildenden Künstlerinnen, also Malerinnen, Grafikerinnen, Bildhauerinnen, Keramikerinnen, Aktionskünstlerinnen, Objektkünstlerinnen, Fotografinnen, Filmemacherinnen. Ich grenze bewußt auf Bildende Künstlerinnen ein, gebe Ihnen aber den Tipp, sich einmal auf den Territorien der Musikerinnen und Literatinnen/Dichterinnen umzuschauen – auch hier finden die Methoden der leisen Gewalt seit Jahrhunderten lohnende Ziele. 
Und ich grenze auf die Zeit bis etwa 1900 ein. Im 20.und 21. Jh gibt es wesentlich bessere Bedingungen, Künstlerinnen sichtbar zu machen, auch durch die Errungenschaften der Emanzipationsbewegungen und natürlich durch die digitalen Verbreitungsmethoden. Aber: Aktuell sind immer noch nur 5% der Werke in Museen von Frauen. Das Verhältnis in den Kunstlexika ist 168 : 5000.
Dabei gibt es etwa gleich viele Künstlerinnen wie Künstler, und es hat sie immer gegeben, seit es Menschen gibt. 


Bevor ich nun aber versuche, Bewußtmachungsprozesse bei Ihnen in Gang zu setzen, möchte ich gern etwas von Ihnen wissen ---(Infa-Institut Meinungsbildung-Statistik – repräsentativen Querschnitt der Anwesenden wählen ca. 10 Personen – spontan auf Zettel 3 bildende Künstler – sofort abrufen – Strichliste an Tafel – 0- 1- 2- 3: voraussichtlich ohne Schwierigkeiten. Gleiche Personen: 3 bildende Künstlerinnen, wie oben: wahrscheinlich Fehlanzeige
In einer ziemlich repräsentativen Umfrage unter StudentInnen (1979) konnten sowohl von Männern wie Frauen in vielen Fällen 3 Künstler, aber nur in einem einzigen Fall 3 Künstlerinnen benannt werden, und das von einer Frau. „In das Eingeständnis der Unkenntnis an sich,“, sagten die Autoren der Studie, „mischte sich zugleich eine leise Herabsetzung“ – das bedeutet eine geringe Wertschätzung weiblicher Künstler.


Fragen wir uns also, wie es kommt, daß Künstlerinnen so wenig in unserem Blickfeld sind.
-Gibt es zu wenige?
-Sind Frauen weniger kreativ, weniger begabt, schlechter ausgebildet?
-Lassen andere Mechanismen die Künstlerinnen vielleicht regelrecht von der Bildfläche verschwinden?


Zu Punkt 1) es gibt viele Künstlerinnen. Jörg Krichbaum und Rein Zondergeld, die Autoren des Lexikons „Künstlerinnen von der Antike bis zur Gegenwart“(Dumont) führen 1000 Biographien auf, wobei sie die Kunst der Naturvölker und das Kunsthandwerk unberücksichtigt gelassen haben. Das ist ja schon ganz schön, eine ganze Menge, werden Sie sagen – aber im Vergleich mit den männlichen Kollegen sind sie doch eine Minderheit.


Zu Punkt 2) Sind Frauen also weniger kreativ, weniger begabt, schlechter ausgebildet? – Noch ein bißchen Statistik gefällig? Frauen sind heute besser ausgebildet als je zuvor- Der Anteil der Schülerinnen an HS liegt nur noch bei 45%, die Zahl der Abiturientinnen hat sich von 1972 bis 1992 verdoppelt. Dabei treten die künstlerischen Neigungen der Mädchen deutlich zutage. Den 10%, die 1990 beide Leistungsfächer aus dem math.-naturwissenschaftlichen Bereich wählten, stehen 26% gegenüber, die das sprachlich-literarisch-bildkünstlerische Aufgabenfeld bevorzugen. Von dem inzwischen auf 40% angestiegenen Anteil weiblicher Studierenden sind 51,8% an Kunsthochschulen immatrikuliert. Da es etwa gleich viele Jungen und Mädchen gibt – erst im Alter verschiebt sich die Pyramide des Lebens zugunsten der Frauen – haben wir zumindest im Bereich der Bildenden Künste in der Ausbildung eine satte Parität – 51%.


Zu Punkt 3) Woran liegt es also, daß, wie Christa Karras fragt, so viele Frauen ihre Talente verstecken und die Qualifikationen der Männer quasi im Vergrößerungsglas gesehen werden? Es zeigt sich nämlich, daß in Berufsverbänden Bildender Künstler die Frauen trotz ihrer akademischen Ausbildung, bei der sie ja einen Anteil von über 50% stellen, unterrepräsentiert sind. An den Hochschulen ist die Zahl der Dozentinnen vergleichsweise gering, auch die Behauptung, alle berühmten Akademien von Rom bis hin zur Académie Francaise, hätten sich den Frauen stets geöffnet und sie als Studierende, Dozentinnen, Professorinnen, freie und sogar Ehrenmitglieder geführt, bestätigt sich nur in Ausnahmefällen. Ein Grund ist sicher, daß die Auswahlgremien vornehmlich männlich besetzt sind.
Es muß also andere Gründe geben, diejenigen, die ich mit dem Terminuns „leise Gewalt“ umschreibe und im Folgenden benennen will.
Zur „Kunst“ – um auf den Titel des Vortrags anzuspielen - wird die "Leise Gewalt" erst durch ihren subtilen Erfindungsreichtum, sei er bewußt oder unbewußt eingesetzt.


Kunst Nr. 1: Der Psycho-Terror


Ist gesellschaftlich-ethisch begründet. In der Jüdischen, Christlichen und insbesondere Islamischen Religion sind Minderwertigkeitsbeweise der Frau fest verankert, angefangen vom Schneiden aus der Rippe Adams über den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies. Im Judentum wund im Islam werden auch heute noch Frauen während der Menstruation oder der Schwangerschaft als „unrein“ ausgegrenzt und haben dann nicht teil am normalen Leben. 
Schopenhauer (Anfang 19. Jh.) bescheinigt uns in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit die Position der Frau klipp und klar: Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, daß das Weib weder zu großen geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. : „mit Zitzen exorniert“
 
Chauvinisten gibt es bis in unsere Tage: 1901 bescheinigt der Arzt Paul Möbius „dem Weib  physiologischen Schwachsinn“. Erich Naumann, Psychologe, behauptet von 1983 öffentlich: „Das Fehlen eines sichtbaren schöpferischen Werks (der Frau) beruht darauf, daß die Frau in ihrer Eigenschaft als Gebärerin unmittelbar schöpferisch wirkt und damit ihre kreativen Energien bereits im Leben verbraucht. Das Weibliche lebt mit seinem Leib in der äußeren Wirklichkeit all das, was für einen Mann zum seelischen Geschehen werden muß, wenn es realisiert werden soll“.
 
In den 90er Jahren haben etliche Feministinnen diese Meinung umgekehrt, indem sie den Freudschen Penisneid, den die Mädchen angeblich haben, den „Uterusneid“ entgegensetzen und sagen, die gesamte schöpferische Kulturleistung des Mannes sei nur eine Kompensation für seine Unfähigkeit zur echten Geburt.
 
Jean Jacques Rousseau, den vor allem Lehrer als großen Aufklärer und Erzieher schätzen, erklärt in seinem berühmten Entwicklungsroman „Emile“: „Diese…Fortschritte der Frauen lassen sich leicht bis zum Zeichnen ausdehnen, denn diese Kunst ist der, sich mit Geschmack zu kleiden, nahe verwandt: ich möchte jedoch durchaus nicht, daß man sie dazu verwendet, Landschaften zu zeichnen und noch weniger Figuren. Laubwerk, Früchte, Blumen, Draperien, alles, was danach angetan ist, einem Kleidungsstück eine elegante Linie zu geben,selbst eine Stickvorlage zu machen – das genügt für sie.“ (Breitling S. 28) 
 
Und hier haben wir erstaunlicherweise Zustimmung von Frauen. Z.B. lesen wir in einem Erziehungsbuch der Mme Necker de Saussure von 1838: „Die gleichen Gaben, die dem schwachen Geschlecht soviel Charme und Kraft geben, lassen auch die künstlerischen Talente blühen; (die Sensibilität, ein bestimmter Hauch Inspiration, das Gefallen an der Natur, die Leibhaftigkeit der Eindrücke, der Wunsch, die materielle Welt zu verschönern um aus ihr das Wesen eines göttlichen und reinen Lebens zu gewinnen.) Die Kunst ist für Mädchen nichts Wesentliches, sie ist eine angenehme Zutat, ein zusätzlicher Schmuck, der seinen Wert verliert, wenn er nicht dem Ganzen untergeordnet wird, sondern dessen Festigkeit verändert“.
 
Und das scheint sie zu sein, die gesellschaftliche Angst der früheren Jahrhunderte: durch ernsthafte Kunstausübung gerät ein Mädchen auf die schiefe Bahn, wird von der Heiligen zur Hure, von der Madonna zur Venus, von der Mutter zur Hexe – Freud nannte das Herrschaftstrauma „Geborgenheitssehnsucht und Unterlegenheitsangst“ – und die Frau, unter Berufung auf heilige Schriften bewußt und mit leiser Gewalt in gesellschaftlichem Zwang gehalten, sah sich in diesen männlichen Spiegeln, nahm tatsächlich eine pseudo-Identität an.
 
Das hat für die Kunst fatale Folgen, sagt Germaine Greer in ihrem Buch „Das unterdrückte Talent“ : „Es gibt demnach keinen weiblichen Leonardo, Tizian oder Poussin; aber der Grund dafür liegt nicht darin, daß Frauen eine Gebärmutter haben, daß sie Kinder bekommen können, daß ihr Gehirn kleiner ist, daß ihnen die Kraft fehlt, daß sie nicht sinnlich sind. Die Ursache liegt einfach darin begründet, daß man einen großen Künstler nicht aus einem gestörten Ego formen kann, dessen Wille geschwächt, dessen Libido verdrängt und dessen Energie in gewisse neurotische Kanäle geleitet ist.“ (sic! „Künstler“)
 
In diesen Zusammenhang gehören auch Zwickmühlen, die in der Soziologie „Double-Bind-Situation“ genannt werden, von denen ich eine besonders zu Herzen gehende nicht auslassen will: Gräfin Marie de Benoist, Zeitgenossin Schopenhauers, war auf der Höhe Ihres Ruhms, als sie ihre Karriere zugunsten der ihres Mannes aufgeben mußte. Die Beförderung zum Conseiller d’Etat – hohes Staatsamt – war daran geknüpft, daß seine Frau nicht mehr öffentlich als Künstlerin arbeiten dürfe. Hätte sie sich widersetzt, was wäre wohl geschehen??? (Breitling 170 Brief an ihren Mann) „mein Herz klagt weil ich gezwungen bin…ein Vorurteil der Gesellschaft zu befriedigen, der man sich schließlich unterwerfen muß. Aber so viele Studien, so viel Anstrengung, ein Leben in harter Arbeiet und Erfolge – in ihnen jetzt fast einen Grund zur Demütigung zu sehen, diesen Gedanken könnte ich nicht ertragen…Meine Selbstachtung ist zutiefst verletzt worden".
 
Kunst Nr. 2: Die Manipulation der Sprache
 
Kunst soll man sehen, man kann nicht darüber reden, sonst hätte der Künstler ein Gedicht geschrieben, das ist eine plausible Auffassung. Aber der Mensch möchte sich mitteilen, über Dinge, die er gesehen, die ihn erfreut, angeregt, geärgert haben. Und je nach Bedarf wählt er Sprachsignale die seine Meinung auch zwischen den Zeilen deutlich werden lassen – das ist dann besonders „leise“. So wundern wir uns nicht über überhebliche, herablassende und besserwisserische Beiträge von Männern zu weiblichen Kunstwerken. Giorgio Vasari, Maler der Renaissance und 1. Kunstgeschichtsschreiber der Neuzeit, hat in seinen „Vite“ auch Frauen aufgenommen.  Spätere Herausgeber haben diese übrigens komplett gestrichen! Vasaris Sprache ist im Vergleich mit der Behandlung männlicher Künstler so glatt und süß, überschwenglich und höflich, daß man deutlich merkt, er hat einen doppelten Schreib-Standard.  z.B. Plautilla, Nonne im KlosterS.Caterina zu Siena: (Folie)..“einige Sachen mit solcher Sorgfalt ausgeführt hat, daß sich Künstler darüber wundern mußten“ oder Sofonisba Anguissola: (Folie) „Aber mit größerem Eifer und anmutiger als irgendeine Dame unserer Zeit hat sich Sofonisba  aus Cremona, Tochter des Messer Amilcaro Anguissola, um die Zeichenkunst bemüht“(Beispiele Breitling S. 149) Inhalt ist wenig, fast ohne Gewicht gewertet – so als ob „Dabeisein schon alles“ und ein großes Wunder sei.
 
Auch der Kunsthistoriker Hans Hildebrandt, der als erster im 20. Jh eine Kunstgeschichte der Frauen schrieb (1928), würdigt die künstlerische Arbeit zugunsten weiblicher und äußerlicher Vorzüge ständig herab. Er faselt von „zweiter Stimme im Orchester“ oder von „echt weiblicher Eitelkeit, die angeblich zum frühesten Selbstporträt in der Kunstgeschichte“ geführt habe (Breitling S. 145) Allerdings kommt ihm der Ruhm zu, zum ersten Mal die frühen Künstlerinnen der Antike und frühen Neuzeit ins Bewußtsein gebracht zu haben. (Folien 5-7)
Selbst die Autoren Krichbaum/Zondergeld, die ehrlich um eine Aufarbeitung bemüht sind, sprechen geringschätzig von „Randphänomenen“, wenn sie die Frauen innerhalb der Kunstgeschichte meinen. Meiner Meinung nach gibt es da gar kein Phänomen, Kunst ist Kunst, ob von Frau oder Mann innerhalb des historischen Ablaufs.
 
Subtiler wird das Ganze im Vergleich von Lexikon-Artikeln. Haben Künstler, wie etwa Picasso oder Manet, beide in besonderem Maße, Ideen anderer Künstler verarbeitet, so heißt das „Bildvorwurf, Anregung“ – völlig ok. Frauen haben dann „nachgebildet“ – das Recht der Aneignung wird bei ihnen zum Plagiat, zur „Beeinflussung“ durch Künstler-Männer. Haben sie aber die bessere Idee, heißt es vorsichtig „..geht man wohl nicht fehl in der Annahme, daß er sich erst durch ihre Vermittlung für dieses Sujet interessierte“ (Manet/Berthe Morisot/Impressionismus) (Folien, Beispiele für Adaption, Frühstück im Freien).
 
Wenn in einem Artikel des 17. Jh., der sehr jungen Anna Peeters, die mit 11 Jahren schon wunderbare Stillleben malte, eine „erstaunliche“ Frühbegabung attestiert wird, steht bei gleichaltrigen männlichen Wunderkindern „begnadetes Genie“ (Mozart!)  (Folie) Paula Modersohn-Becker, obwohl abgeschieden im Moor, „nähert sich dem Expressionismus Noldes“; (Folie) Sophie Tauebers Gemälde „erinnern an Klee und lassen an Arp denken“. (Folie) Klee ist hingegen Vertreter der Bauhaus-Schule, Arp im Kreis der Dadaisten. Die Filmemacherin Helma Sanders ist „stilistisch unsicher“ – bei Männern hieße das „Stilvielfalt – und so könnte es seitenlang weiter gehen.
Ich wünschte, ich hätte Sie ein bißchen für diese Art der leisen Sprach-Gewalt sensibilisiert – überprüfen Sie sich ruhig demnächst einmal selbst – ich bin sicher, Sie ertappen sich in flagranti. Mir passiert das auch, und ganz unbewußt. Ich denke das ist ein Zeichen für die Gefährlichkeit dieser Art leiser Gewalt.
 
Kunst Nr. Drei: Das Spiel mit dem Sex
 
Es gibt die tragikomische Geschichte vom französischen Maler Edouard Manet (Wegbereiter des Impressionismus, Mitte 19.Jh), der einmal sein langjähriges Modell, eine Prostituierte, mit in den Louvre nahm. Er erzählte später seinen Freunden wiehernd vor Lachen, wie diese junge Frau, deren Geschäft doch die Körperarbeit war, vor all den mythologischen Gemälden, auf denen großformatig, versteht sich, Aktdarstellungen zu sehen waren, schamrot wurde und Manet bat, sie hinauszubegleiten. Sie konnte die Zurschaustellung, die öffentliche Exhibition der weiblichen Intimsphäre nicht ertragen. Sie selbst wahrte diese immer, indem sie ihren Körper zwar mit Selbstverständnis verkaufte, - ein Geschäft – aber hinter verschlossenen Türen. Aktdarstellung ist für Künstler Darstellung und Aufforderung zur Lust – verfolgt man die Geschichte der Modelle, so zeigt sich, daß es häufig nicht beim Malen bleibt – die Versuchung ist einfach zu groß, die Imagination in die Realität umzusetzen. Das ist aber nur die eine Seite. Eigentlich geht es mir um das Zur-Schau-Stellen, das Animative von Aktbildnissen an die Adresse der Betrachter. Vergleicht man etwa einen Rubens mit Paula Modersohn-Becker oder Suzanne Valadon, (Folien) so ist der Unterschied klar: die Künstlerinnen meinen die selbstverständliche Körperlichkeit, Künstler appellieren an Voyeure und tun Frauen damit Gewalt an – das ähnliche geschieht übrigens stündlich, täglich, im 10-Minuten-Takt in unseren Medien. (2021 ist die Situation etwas entschärft)
 
Kunst Nr. Vier: Das Verschwindenlassen
 
Bis ins 19. Jh. waren Künstlerinnen meist Töchter und später Ehefrauen von Künstlern, sie wuchsen praktisch in dem für andere (die „normale“ Gesellschaft) dubiosen Umfeld auf, wurden unterstützt, hatten eine sorgfältige Ausbildung. Sie wurden in der „Factory“ gebraucht und gelangten häufig zu hohem Ansehen, zumindest zeitweilig. ( Maria Sibylla Merian, Artemisia Gentilleschi, Angelika Kaufmann, Vigée Lebrun) (Folien) Trotzdem kennen wir sie heute kaum, nicht viele Werke sind erhalten – was ist passiert? Arbeit im Familienverband bedeutet vor allem, der Rubel muß rollen – es signiert der, der das meiste Honorar kassieren kann – in der Regel das Familienoberhaupt. Werke der Frauen, meist ohne Signatur, wurden von ihren Besitzern der hohen Qualität wegen, die immer auf der Höhe der Zeit war, entsprechenden männlichen Kollegen untergeschoben, eine Fälschung der Signatur war schnell bewerkstelligt. In den Niederlanden wurden im goldenen Zeitalter, dem 17./18.Jh, Werke der hervorragenden Judith Leyster, obwohl signiert, für Werke von Frans Hals ausgegeben und in Museen bewundert. (Folien) Als in 20. Jh Röntgenaufnahmen die Wahrheit ans Licht brachten, fiel der Kurs für Frans-Hals-Bilder, und von seinen echten wollte man die weniger gelungenen auch noch Judith Leyster unterschieben. Werke von Frauen sind auch häufig von Museen nicht sorgfältig geschützt worden, meistens gelangten sie in die Magazine – d.h. vieles ist nicht gut in Schuß oder gar zerstört und dann entsorgt. Die Wertschätzung für Werke von Frauen ist einfach geringer eingeschätzt worden, da ihnen oft der berühmte Name fehlt. Die Kunst des Wegzauberns bezieht sich auch auf die Kunstgeschichtsschreibung – wie anders ist zu verstehen, daß aus Vasaris Vite in den späteren Ausgaben die Künstlerinnen alle gestrichen sind?
 
Ich komme zum Schluß mit einem Zitat, das mich sehr berührt hat, und das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Es stammt von der holländischen Malerin Anna Maria von Schuurmann, (Folie) die im 17. Jh in Leiden Theologievorlesungen an der Universität für sich erzwang, 10 Sprachen sprach, neben der Malerei die Musik beherrschte und sich irgendwann mit Bruder und zwei alten Tanten aufs Land zurückzog und diese bis zum Tode, 20 Jahre lang, pflegte. Typisch?
 
Jedenfalls deprimiert klingt ihr Fazit:
„Daher wird geschehen, daß in späteren Zeiten der Leser der Geschichte während einer langen Epoche nicht mehr Erinnerung an unsere Namen findet, als ein Schiff Spuren hinterläßt auf seinem Weg durch die Wellen“. (Zitat Breitling, Vorsatz im Buch).
 
Die Frage geht an uns alle – nach dieser fast seherischen Voraussage – was wir tun können, um für uns, in unserer Gesellschaft heute, Künstlerinnen gleichberechtigt zu behandeln, ihnen den gebührenden Platz, den Freiraum zum Arbeiten genauso zu lassen wie den männlichen Kollegen, sie aus dem „Eckchen im Vaterhaus der Kultur“ in die Sichtbarkeit zu holen, damit ihre Spuren für die Zukunft erhalten werden und nicht mehr in den Wellen der Meere vergehen.


Quellen
Giorgio Vasari, Le Vite de piu eccellenti Pittori, Scultori e Architettori, 1568                                            
Jörg Krichbaum/Rein A. Zondergeld, Künstlerinnen , Dumont 1979                                                              
Germaine Greer, Das unterdrückte Geschlecht, Ullstein ,1980                                                                  
Gisela Breitling, Die Spuren des Schiffs in den Wellen, Fischer TBV, 1986                                                  


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