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Bericht vom 04.11.2021

Andy Warhol und die Epoche der PopArt

09. Online-Lecture am 03.11.21, BDK Niedersachsen

© Jutta de Vries

Liebe Kollegen und Kolleginnen,
in dieser Lecture geht es um ein Schwerpunktthema zu den kommenden Abiturprüfungen wie folgt:.
Die Schülerinnen und Schüler untersuchen mediale Transformationen und bildnerische Prozesse
(thematische Entwicklungen, Motivvariationen, Bildserien).
Die Schülerinnen und Schüler gestalten Bilder von Alltagsobjekten unter Berücksichtigung media-
ler Transformationen grafisch, malerisch und in Mischtechnik (thematische Entwicklungen, Motiv-
variationen, Bildserien) auch nach Bild- und Textimpulsen.
Bildvorgabe 2
• Andy Warhol, Campbells Suppendosen, 1962, je 50,8 cm x 40,6 cm, Acryl auf Leinwand,
The Museum of Modern Art, New York City
Kunstgeschichtliches Wissen
• Bildnerische Prozesse und mediale Transformationen im Kontext und nach Prinzipien der Pop Art
Es geht nicht um praktische Anleitungen, sondern um einen kunsthistorischen Rundgang, zu dem ich Sie herzlich einladen möchte. Es geht um die Epoche der PopArt, die ihre Blütezeit in der ersten Hälfte der 1960er Jahre hatte und später in viele individuelle Strömungen auslief, ein Zeichen ihres zutiefst demokratischen Selbstverständnisses; und es geht um Andy Warhol, der unumstritten als King of Pop, vielfach auch als „Pop-Papst“ bezeichnet wird.


Bevor Andy Warhol die große Kunstbühne der Welt betritt, gibt es den Begriff „PopArt“ bereits seit einigen Jahren; in England hatte sich um Eduardo Paolozzi und Richard Hamilton Anfang der 50er Jahre die „Independent Group“ gebildet. Nach der harten, entbehrungsreichen Zeit des Zweiten Weltkriegs beobachten die Künstler mit Interesse den neuen Boom der Wirtschaft und der Unterhaltungsindustrie, die ungeahnten Massencharakter zeigen. Film, Reklame, Illustrierte, Warenhauskataloge, Rockmusik überfluteten die Menschen in den Städten, die sich begeistert von der glitzernden Konsumkultur vereinnahmen lassen., sie sind geradezu „ausgehungert“.
In den Stilformen der Vorkriegszeit, dem Dadaismus mit seinen Collagen und dem verwandten Ready Made finden die englischen Künstler die Medien, um ihre Beobachtungen künstlerisch zu transformieren. Mittels Collage aus ausgeschnittenen Werbeprospekten und „objets trouvés“ vom Müll, erheben sie das banale Alltagsobjekt zum Kunstwerk. Sie werden daher als „New Dadaists“ oder „New Realists“ bezeichnet. Als 1956 die Ausstellung „This is tomorrow“ stattfindet, ziert Hamiltons Werk mit dem sperrigen Titel „Just what is ist that makes today‘s homes so different, so appealing?“ das Plakat. Kunstkritiker Lawrence Alloway schaut sich die Collage an – und erfindet prompt den Namen der Kunstrichtung. So wird es jedenfalls kolportiert, und Hamiltons relativ kleines Werk avanciert im Nachhinein zur prophetischen Ikone des Pop.
Dabei hat Hamilton seinen Muskelmann nur lautmalerisch den Lolly lutschen lassen – aus dem einfachen Klang der Jugendsprache wird so die Charakterisierung einer ganzen Kunstepoche – weit über England hinaus, weltumspannend verbindet jeder mit diesem „Pop“ eine Abkürzung für „popular. 


„New Realistic“ ist dieses Bild allerdings wirklich nicht: Alle Möglichkeiten, die der breiten Masse im neuen Wirtsschafts- und Technikboom zur Verfügung stehen, pfercht Hamilton in ein englisches terrace house ein, schafft einen Markt der Möglichkeiten, aus dem sich die Künstler in der Folge bedienen sollten. Es gibt Werbung für den neuesten Staubsauger, der die gesamte Treppe schafft, Fernseher, Kino, Theater, Tonband, Comic, das gesamte Medienspektrum, Auto, endlich wieder große Fleischportionen nach Hungerzeiten und viel Freizeit zum Ausruhen im Sessel mit Zeitung für das Weltgeschehen, zum Spielen mit der frisch gestylten Frau, als Pin up drapiert, die ihren Muskelmann erwartet und noch schnell die Haare föhnt.  „Er“ ist natürlich der Hingucker: in Bedeutungsperspektive und im Goldenen Schnitt platziert, präsentiert er den trainierten Body, zeigt sich im Magazin-Look. Der übergroße Lolly suggeriert bei schnellem Hinsehen den Tennisschläger, ist aber der Witz im Zusammenklang der Accessoires und der spießigen Einrichtung. Alle diese Versatzstücke werden sozusagen das Quellenmaterial der Popkunst. 


Die Ausstellung war, wie nicht anders zu erwarten, ein Skandal; so wie wir es aus der Kunstgeschichte bei Grenzüberschreitungen der „edlen Künste“ lange kennen (z.B. in den Pariser Salons zum Impressionismus, zu den Fauves, zum Kubismus; in Berlin zur Sezession, in Dresden zur Brücke, in München zu Kandinskys Abstraktionen). 
Hamilton setzt dagegen: „For the finest art – try Pop“ und führt folgendes aus: “ Der Standpunkt der hohen Popkunst dagegen – der Ausdruck trivialer Kultur in Form von hoher Kunst – ist, wie der Futurismus, im Grunde ein Glaubensbekenntnis zu den veränderlichen Werten der Gesellschaft. Hohe Popkunst ist eine Bejahung der Massenkultur und daher auch antikünstlerisch. Sie ist positiver Dada, schöpferisch dort, wo Dada zerstörerisch war. Vielleicht ist sie Mama: eine Kreuzung aus Futurismus und Dada, die eine Hochachtung für die Kultur der Massen bewahrt und eine Überzeugung, daß der Künstler im Großstadtleben des 20. Jhts. zwangsläufig ein Konsument der Massenkultur ist und potentiell einen Beitrag zu ihr leistet.“ (RH, Collected words 1953-1982, London 1982) 
Als Grundlage für eine angedachte Künstlervereinigung PopArt beschreibt er deren charakteristischen Merkmale: „populär (für ein Massenpublikum bestimmt), vergänglich (kurzfristige Lösung), zum Verbrauch (schnell vergessen), nicht aufwendig, massengefertigt, jung (auf Jugend zugeschnitten), witzig, sexy, trickreich, glamourös, das große Geschäft“. Tatsächlich ist das „eine Absage an die vorherrschende Kunst und ihre hehren Werte Originalität, Authentizität und Tiefe, die dem Kunstwerk angeblich seine Bedeutsamkeit verleihen“ (Unterrichtsmaterial Ludwig goes Pop)


Wahrscheinlich hat Hamilton keine Kenntnis von Walter Benjamin, der bereits 1935 seinen Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ in Paris verfaßt hatte. Die Ansätze sind sehr ähnlich: Die Medien der Vervielfältigung, so Benjamin, machen die unbegrenzte Verfügbarkeit aller Künste möglich; die Aura des Originals geht dadurch verloren, es entsteht eine Entwertung des Originals. Das scheint aber für die Gesellschaft von Vorteil, denn durch Medienaneignung und Nutzung entsteht eine soziopolitische Wirkkraft, die eine Gesellschaft nachhaltig kulturell verändern kann. Wenn Kunst durch Reproduktion für alle verfügbar ist, erfährt sie durch diese Entmythologisierung einen demokratischen Charakter.


Diesen damals durchaus brisanten Gedanken konnte Benjamins Studienfreund Theodor Adorno nicht gut heißen. Er kontert:“ Massen suchen Zerstreuung, Kunst aber vom Betrachter Sammlung“


Benjamin bezieht sich auf neue fotografische Techniken und den relativ jungen Film und seine Möglichkeiten zur Veränderung der Wirklichkeitsabbildung, die ja auch schon in der Kunst stattgefunden hat: er nennt Expressionismus, Kubismus, Surrealismus.
Da die soziale Funktion der Medien stetig steigt, entwickelt sich eine kollektive Ästhetik, die einerseits zu gesellschaftlicher Emanzipation führt, andererseits aber auch eine Gefahr der politischen Vereinnahmung birgt. (Das haben wir ja schmerzlich im Nationalsozialismus erfahren müssen, Benjamin war hier geradezu prophetisch.)




In den USA herrscht in den Fünfzigern vor allem die „hehre Kunst“ des abstrakten Expressionismus.
Viele Künstler, die Europa während der beiden Weltkriege und aus politischen Gründen verlassen mußten und in den USA eine neue Heimat fanden, prägten die us-amerikanische Kunstwelt, die noch im akademischen Malschlaf des 19. Jhts. lag, ganz vehement. 
Neben dem Surrealismus, vertreten durch Dali, Tanning, Ernst brachte Josef Albers den Konstruktivismus und den Bauhausgedanken, Hans Hofmann die Abstraktion. Seine Akademie–Gründung hatte großen Erfolg.
Willem de Kooning setzte mit seiner großformatigen Gestik Zeichen, Jackson Pollock experimentierte mit Drippings, Marc Rothko hüllte das Geistige in Farbabstraktionen. Hehre Kunst, eng verbunden mit den europäischen Vorbildern, die dem Selbstverständnis nach einer gewissen Bildungsschicht vorbehalten war, um in ihrer erhabenen Bedeutung erkannt zu werden. 


Es gibt aber auch ein neues Nachkriegs-Feeling, eine Konsum-Aufbruchstimmung, eine demokratisierende Verunklärung der Bildungsschichten-Zugehörigkeit. Die jungen Künstler der Nachkriegsgeneration suchen, in Anlehnung an Altmeister Duchamp, einen realitätsbezogenen Weg, der für alle Betrachtenden verständlich wäre, weil aus ihrem Erfahrungshorizont heraus gegriffen, unabhängig von den englischen Kollegen, aber ganz ähnlich.


Und da tritt Robert Rauschenberg auf den Plan. Er ist befreundet mit John Cage, den er beim Kunststudium im Black Mountain College,NC, kennenlernt. Bleibend ist der Eindruck bei der Mitwirkung an Cages ersten Happening „Theatre Piece 1“ von 1949, einem Multimedia-Stück. Als 1951 Cages berühmtes Klavier-Happening 4/33 herauskommt, widmet er ihm dieses Bild, ganz im Stil des Abstrakten Expressionismus, den er hier in Richtung Neo-Dada ad absurdum führt. Später in NewYork entwickelt er die so genannten Combine Paintings, die sich aus Collagen, Nitro-Druck, objets trouvés und Malerei zusammensetzen, es sind gedankliche Fortführungen der Wiederbelebung des Dada und der Ideen von Marcel Duchamp, allerdings knüpft er fast immer an die Formen des eigentlich heftig geschmähten abstract expressionism an.


Zwischen den „hehren Künstlern“ und den „Experimentierern, zu denen auch Cy Twombly und Jasper Johns gehören, wächst die Spannung. Rauschenberg kommentiert das Problem:“ Ein Bild sollte nicht nach etwas aussehen, was es nicht ist, sondern nach etwas, was es tatsächlich ist. Und ich glaube, ein Bild gleicht der realen Welt mehr, wenn es auch aus dieser realen Welt gemacht ist“. Und Jasper Johns, dem Flaggenmaler, geht es „um die sich neu ausrichtende Beziehung zu den Dingen…Man ist oft blind der Tatsache gegenüber, daß es auch andere Arten des Sehens gibt.“


Kunstkritiker Lawrence Alloway ist inzwischen in die USA umgesiedelt und zeigt 1959 Jim Dines Kleidungsikonen und Claes Oldenburg mit seinen weichen Alltagsobjekten, Waschbecken, Steckdosen, Nahrungsmitteln. Erschüttert ist der Glaube an Materialgerechtigkeit, der Witz liegt in der Unmöglichkeit zum Gebrauch, durch vergängliches Material, Vergrößerung, Funktionsunfähigkeit. Oldenburg ist der erste, der „reine“ Pop Art macht, ohne sich auf Vorgänger zu berufen. Alloway spricht in diesem Zusammenhang von der “Pop Art als Gegengift des Idealismus“. Er wird 1962 Kurator am Solomon R. Guggenheim Museum NY., von dort aus unterstützt er die Stilrichtung nach Kräften. Inzwischen sind Roy Lichtenstein, Tom Wesselmann, James Rosenquist oder auch George Segal und Außenseiter Andy Warhol ins reine PopArt-Rampenlicht getreten. 1964 erhält Rauschenberg den Großen Preis für Malerei der Biennale in Venedig, heute heißt der „Goldener Löwe“. Dadurch wird die Pop-Art-Bewegung mit einem Schlag weltweit bekannt. – Und bis heute wird als „Fingerübung“ in dieser Stilrichtung gearbeitet. Es gibt viele Beispiele in der Kunstlandschaft, hier eine Arbeit von Christa Donatius aus Hamburg.


Dieses Beispiel einer Künstlerin möchte ich übrigens zum Aufhänger nehmen, um ein Faszinosum zu erwähnen: trotz aller Demokratisierung der Kunst durch die Pop Art sind Frauen nicht oder nur marginal vertreten. Als einzige große Künstlerin fällt mir nur Niki de StPhalle ein, die temporär der PopArt nahe stand.


Zuvor hatte ich von dem „Außenseiter“ Andy Warhol innerhalb der PopArt-Kerngruppe gesprochen. Ich will versuchen, die Gründe dafür zu benennen., die auch in seiner Herkunft liegen könnten.
 
Er selbst gibt eine abstruse Definition:“ Wenn Sie alles über Andy Warhol wissen wollen, dann brauchen Sie nichts anderes zu tun, als sich die Oberfläche anzuschauen, die Oberfläche meiner Bilder, meiner Filme, meiner Person – und schon wissen Sie, was es mit mir auf sich hat. Hinter der Oberfläche ist nichts.“


Er wird am 6. August 1928 in Pittsburgh als Andrej Warhola als 3. Kind einer Einwandererfamilie aus den ruthenischen Karpaten im heutigen Slowenien geboren. Die Einwanderer von dort wohnen in ihrem eigenen Viertel und praktizieren streng ihren griechisch-orthodoxen Glaubensritus. 10 km lang ist der Weg zur Kirche, jeden Sonntag, es gibt strenge Alltagsbräuche, kein Radio, dafür die religiösen Volksbräuche aus der Heimat. Andrej erkrankt mit 8 an Chorea Minor, einer Nervenkrankheit, die mit Pigmentverlust einhergeht. Das heißt, Haar und Haut verlieren Farbe; er verliert früh das Haar. Später spielt er mit dieser Tatsache und setzt sich weiße oder silberne Perücken auf. Er beschreibt sich so: “Die koboldhaftige Maske, der leicht slawische Einschlag, die albinoweiße Haut, wie Pergament, reptilienartig. Die ins Grau spielenden Lippen, die fesselnden Hände…“ Er lenkte also in der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit auf seine Schwächen. Außerdem war er legendär schweigsam und gab oft einsilbige Antworten, denen eventuell eine Sprachstörung zu Grunde lag- Es ist spannend, wie ein so schüchterner Mensch eine öffentliche Kunstfigur von sich schaffen konnte, die cool, distanziert oder schockierend wirkte.


Während der Krankheitszeiten liest die Mutter ihm Comics vor, er beschäftigt sich mit Ausschneiden von Figuren und Malbüchern., er hat auch einen Projektionsapparat, um die Comics zu produzieren. Das schüchterne, intelligente Kind zeigt in der Schule künstlerisches Talent und wird von seinen Lehrern mit Kunstkursen im Carnegie Museum extrem gefördert, schreibt sich nach dem Schulabschluß in Kunstgeschichte, Malerei und Gestaltung am Pittsburgh Carnegie Institute of Technology ein und geht nach dem Abschluß 1949 nach New York. Dort wird er zu Andy Warhol, er sagt, es sei eher zufällig geschehen, die Leute hätten seinen Namen einfach gekürzt. Er verdient bald genug Geld als freier Werbegrafiker, er hat Projekte für Buchillustrationen, Schaufensterdekos, Bühnenbilder, Schuhwerbung oder als Modezeichner. Auch Tiffany’s hält große Stücke auf den originellen und phantasievollen Künstler.  


Seine Mutter zieht zu ihm, der Vater ist verstorben, die harte Arbeit im Kohlenpott. 40 Jahre lang wird seine Mutter bei ihm wohnen, bis kurz vor ihrem Tod.1972. Sie waren eng verbunden, auch in der Frömmigkeit, was kaum an die Öffentlichkeit gelangte. Sie war auch seine Mitarbeiterin in den frühen Jahren, beschriftete Zeichnungen und Bücher, signierte sogar seine Arbeiten.
Darunter sind auch freie Zeichnungen, die homoerotische Inhalte haben und die offen seine Neigungen zeigen. Das ist ein Beispiel dafür, daß er mutig nach seinen Überzeugungen leben will, aber auch den Wunsch hat, zu schockieren. Die meisten anderen schwulen Künstler der Zeit wie Rauschenberg, Johns usw, haben ihre Neigungen versteckt.


1960 macht Warhol die ersten Comic-Gemälde, sozusagen als Erinnerung an seine Krankheitstage. Popeye ist der angesagte Held, und 1961 folgt Rauschenberg. Auch andere Künstler springen auf den Zug auf, Galerien zeigen Interesse. Lichtenstein hat großen Erfolg in Leo Castellis Gallery in New York, Castelli will nicht 2 Künstler mit dem gleichen Thema ausstellen. 


Da springt Andy Warhol ab.
1961/62 malt er alle 32 Sorten von Campbell’s Dosensuppen, jede einzelne. Im Kleinformat mit Acryl auf Leinwand, und kann sie in Luis Blum’s Ferus Gallery, Los Angeles ausstellen, es ist seine erste Einzelausstellung. Die Ausstellung findet im Sommer statt. Blum ordnet die einzelnen Teile so an wie auf einem Supermarkt-Regal: zuerst die Tomato Soup, alles in einer langen Reihe. Warhol freut sich, insgeheim hatte er sich das so gewünscht, dem Galeristen aber freie Hand gelassen. Das Publikum weiß mit der Ausstellung nichts anzufangen, es war die erste PopArt Ausstellung an der Westküste. Finanziell zahlte sie sich nicht aus. Es wurden nur einzelne Teile für je 100$ verkauft, ua. von Dennis Hopper. Blum entschied sich aber, das Gesamtbild zusammen zu halten und kaufte die Teile zurück. Die heutige Darstellung der Sequenz im MOMA ist verändert, die Muschelsuppe macht den Anfang, Tomatensuppe steht in der Mitte der 4. Reihe.
 
Aber die kontroversen Presseberichte trugen zu großer Aufmerksamkeit bei, diese Idee war wirklich etwas Neues. Es waren zwar früher schon Dosen kunstwürdig, wie z. B. Jasper John’s Bierdosen-Objekt. Aber die Reihung in Andy Warhol’s Soup Cans gab den Ausschlag der Innovation. Wenn man es genau sieht, war es keine echte Reihung wie bald darauf mit den Dollar-Scheinen und Cola-Flaschen, da jedes Bild einen anderen Suppentitel trägt. Der Vervielfältigungsgedanke, auch durch das Medium des Siebdrucks, wurde aber noch im gleichen Jahr 1962 geboren. Marylin Monroe stirbt, Warhol kauft ein Filmstill und fertigt Siebdrucke, auch in echter Reihung. In dieser Version scheint sich die echte Trauer um ihren Tod auszudrücken, was Andy Warhol bestreitet. “Alles nur Oberfläche“
Lichtenstein geht das Thema 2 Jahre später ganz anders an, fotobasiert, im Stil der Selektion im Fotoatelier.


Als Warhol im November 62 in Eleanor Ward’s Stable Gallery seine erste New Yorker Ausstellung hat, zeigt er unter anderem die Campbell’s Serie, das Marilyn-Diptich und die Green Cola Bottles. Daß auch die 80 Dollar-Notes dabei sind, ist zu vermuten. Warhol ist mit einem Schlag berühmt. 
In den 60er Jahren – Warhol hat seine Factory in der East 47th Street eingerichtet, in der er mit einer wechselnden Anzahl von Mitarbeitern ganz im PopArt Sinn arbeitete - entstanden weitere Spitzen-Werke  wie die Brillo-Boxes (ein der wenigen Rauminstallationen), Künstler-Serien wie Liz oder Elvis, die Flower-Serien; die spätere Factory in der 87th Street war ganz mit Silber ausgekleidet, damit kein Tageslicht eindrang. Hier entstanden die Werke unter ständiger musikalischer Beschallung – es waren favorisierte Bands zu Gast, der Plattenspieler lief, Warhol machte Fotos, Plattencover und auch die unaussprechlichen Filme – Tag und Nacht war sie Treffpunkt der upper und lower Society, eine endlose Party, die auch für den Drogenkonsum berüchtigt war. Mehrfach wurden Gewalttaten verübt, die alle glimpflich abliefen, bis Valerie Solanas Warhol mit mehreren Schüssen schwer verletzte. Er überlebte, die Stimmung in der Factory aber ändert sich.
Durch die Presse über das Attentat steigert sich Warhols Popularität weiter. Gerade seine Zurückhaltung in privaten Dingen steigert die Aura, die seine Person und sein Werk umgibt. Eine Fülle von Ausstellungen werden ihm in den Großen Museen der Welt gewidmet, selten ist ein Künstler zu Lebzeiten so berühmt.


Warhol hatte sich zwar schon vor dem Attentat mit dem Tod auseinandergesetzt (Serien von Elektrischen Stühlen, Verkehrsunfällen, Rassenunruhen, durch aus mit Appell und kritischer Haltung) Er sagt in einem Interview 1988, „Mir wurde klar, daß alles, was ich machte, mit dem Tod zu tun haben mußte,“ 
Die Serie der „sculls“ kommt in seinem letzten Lebensjahrzehnt hinzu, ebenso Gemälde und Drucke mit religiösen Themen,  z.B. nach Raphael und am Ende seines Lebens nach Leonardos Abendmahl.
Er trifft Joseph Beuys mehrfach, macht eine Porträtserie von ihm, etwas Besonderes, denn andere zeitgenössische Künstler hat er sonst nicht porträtiert.


„David Galloway, der USam. Kunstkritiker und Schriftsteller, bemerkte an Beuys und Warhol „eine tiefsitzende philosophische Geistesverwandtschaft. Beide hatten Kriege gegen den althergebrachten und an Galerien gebundenen Begriff der Originalität geführt und beide besitzen die scheinbar alchimistische Fähigkeit, aus banalen Alltagsgegenständen ‚hohe‘ Kunst zu fertigen.“ 


Nach der Fertigstellung der großen Abendmahl-Serie unterzieht sich Warhol einer Gallenblasen OP, die er nicht überlebt. Es ist der 22. Februar 1987. Er wird nach seinem Wunsch mit Perücke und Sonnenbrille in Pittsburgh bestattet. Gern hätte er auf seinem Grabstein statt des Namens „Phantasieprodukt“ gehabt.
Die Warhol-Biografin Jane Daggett Dillenberger resümiert:
„Der Begriff des Phantasieprodukts, der reinen Erfindung, charakterisiert diesen Künstler, der sich auf gewisse Weise immer wieder selbst erfand. Auf den erfolgreichen und gesuchten kommerziellen Künstler der 50er Jahre folgte der Warhol der Sechziger, der Pop-Künstler, und der Warhol der siebziger war Freund und Maler der Reichen und Berühmten. Und dann kam der Warhol der Achtziger, der auf Parties ging, ein Faible für Gesellschaftsklatsch hatte und alle möglichen Dinge leidenschaftlich sammelte- und der zur gleichen Zeit seine späte Serie religiöser Werke von großer Schönheit und Würde schuf“.
Und Henry Geldzahler, Kurator am Metropolitan Museum und Freund Warhols: „Andy Warhol war ein großer, bewußt schaffenden Künstler, er ist im Himmel - zusammen mit Mozart und Balanchine“.




Daß auch 20 Jahre nach Warhols Tod und 45 Jahre nach Entstehung der Kunst-Ikone „100 Campbell’s Soup Cans“, dieses Werk aktuell ist, zeigt das Foto aus Edinburgh von 2007. Was macht dieses Werk eigentlich so spannend?


Wir sehen 32 kleine gerahmte Leinwand-Formate, in Reihen von 8 x 4 in gleichen Abständen ausgerichtet. Sie bilden auf weißem Grund alle damals erhältlichen Dosensuppen der Firma Campbell ab. Die Dosen nehmen den Gesamtraum der Höhe der Leinwand ein. Sie sind das alleinige Bildthema. Das rot-weiße Design des Dosencovers ist attraktiv, erweckt Aufmerksamkeit und Wiedererkennungseffekt. In der roten oberen Hälfte steht das Firmenlogo, das mit der weißen unteren Hälft durch das goldene Güte-Siegel verbunden wird. Im Weiß erscheint die Inhaltsbezeichnung. Die Schriften sind unterschiedlich in Type, Farbe und Größe, aber auf jedem Label gleich. Der untere Rand wird von einem umlaufenden goldenen Schmuckband abgeschlossen, das ein Spitzendeckchen suggerieren könnte. Die Qualität der Suppen wird aufgrund dieser unterschwelligen Motivwahl und die Verwendung von Goldfarbe betont.


Die Signalfarbigkeit und Beschränkung auf eine Farbe, dazu gold, weiß und schwarz sind ein perfektes Design, das Warhol vorfindet. Er kopiert genau, nimmt auch die verschiedenen Rot-Variationen der Labels mit auf. 


Er kennt die Marke genau, seit 1869 besteht sie, und das bis heute (Bild Hanno) 
Es wird berichtet, Warhol habe jeden Tag zum Lunch eine der Suppen geschlürft und CocaCola getrunken.
Als er mit seinen Comic-Bildern in eine Sackgasse gerät, soll die befreundete Galeristin Roberta Latow vorgeschlagen haben, ein Produkt, das alle kennen, ins Bild zu setzen. So greift Warhol zum Naheliegenden, genau so, wie dann die 50-Dollar-Noten und die CocaCola-Flaschen folgen sollten.


Im Vergleich mit späteren seriellen Werke Warhols steht hier am Anfang der Idee die herkömmliche Arbeit des Werbegrafikers, der ein Produkt präsentiert, ein Produkt in 32 unterschiedlichen Teilen. Die Rahmung verleiht jedem Produkt eine herausgehobene Qualität, geradezu ein Alleinstellungsmerkmal. Es wird zur Ikone des Konsums. Für mich heißt das: es ist der ironische Abgesang an die Ikone der „hehren Malerei“
 Erst durch die blockhafte Reihung – eine Anordnung des späteren Besitzers, des MoMa, - entsteht der Eindruck der Gleichheit, auch weil man beim schnellen Blick die unterschiedlichen Inhalte übersehen kann. Es ist eben doch nicht alles, wie Warhol sagt, „im Bruchteil einer Sekunde“ zu erfassen. Kunsthistoriker haben auch auf die Rasterform der Anordnung hingewiesen und daraus einen Bezug zum rasterförmigen New Yorker Straßennetz abgeleitet und zur Gleichberechtigung der dort Lebenden. Mit einer Reihung verbinden wir theoretisch etwas Statisches, unbewegliches. Hier entsteht aber paradoxerweise eine Bewegung im Kopf, durch die Assoziierung einer Maschine, die Dosen füllt, einer Maschine, die Labels druckt, einer Fließbandarbeit zur Massenproduktion also.


Ursprünglich hatte Warhol die Anordnung seinem Galeristen Luis Blum frei gestellt, der die Tafeln in einer Reihe, wie im Regal, darstellte und auch die Idee hatte, die Tafeln nicht einzeln zu verkaufen, sondern als ein GesamtWerk aus 32 Teilen zu bewahren. Er zahlte übrigens je 100$ in Raten dafür ab. 


Die Attribute der PopArt finden sich also hier in einem noch persönlich bestimmten Kontext.
Sowohl in Blums Reihung als auch in MOMAs Block hat das Werk kein Zentrum, keine Perspektive im herkömmlichen Sinn, allein die Rahmung der Leinwände projezieren Schatten und zeigen die Pluralität an.  Damit hat Warhol indirekt dieses erste Werk aus den folgenden des großen Campbell’s Komplexes herausgehoben. Denn im Folgenden arbeitet er vor allem mit der Siebdrucktechnik. Das entspricht dem PopArt-Gedanken von der Gleichheit der Massenproduktion, von der Dezentralisierung der Gesellschaft und einer dafür nötigen Toleranz, die Warhol zeigt, wenn er auf Rückfragen zu Ausstellungsanordnungen sagt: “I like that idea that you can tell the opposite“. Auch seine Idee, alle sollten seine Siebdrucke machen, dann gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen ihm und den anderen, oder der Wunsch, wie eine Maschine zu arbeiten, gehören wohl in den Bereich der humorvoll-bissigen „opposite“, die er selbst auf Kritikerfragen einnimmt.
Selbst wenn er behauptet, für ihn sei nur die Oberfläche seines Werks wichtig, könnte man bei diesem ersten Campbell‘s Werk ein Fragezeichen setzen. Es zeigt und bedeutet doch, dass es Überfluss gibt, dass niemand hungern muß im Amerika der Golden 60s. 


Mit Campbell’s Soup Cans beginnt die große Karriere des Andy Warhol. In seinen letzten Lebensjahren hilft er in den Suppenküchen NY’s bei der Armenspeisung.


Einer von Oscar Wilde’s Aphorismen besagt:“ Jede Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Diejenigen, die unter die Oberfläche tauchen, tun es auf eigene Gefahr“.


Hier schließe ich, obwohl das Thema lange nicht ausgereizt ist, es gibt unendlich viele Publikationen, die sich mit dem Werk und dem Künstler auseinandersetzen. Und ich  würde jetzt gern mit Ihnen gemeinsam im Gespräch etwas unter die Oberfläche tauchen.


Nachtrag zu der Frage nach Warhols politischer Einstellung:


Obwohl seine Werke zu den Disastern, den Electric Chairs, den Rassenunruhen und ganz generell zum Warenüberfluß, auch zu der Ikonisierung berühmter zeitgenössischer Personen  schon aus sich selbst heraus und allein durch die Erhebung zur Bildwürdigkeit einen gesellschaftspolitischen Appell darstellen, hat Warhol einen politischen Standpunkt immer bestritten.


Es wird aber bezweifelt, daß das der Wahrheit entspricht - im Gespräch gestern herrschte Konsens darüber. Warhol hat seine private Person, sein Denken und Handeln immer „camoufliert“, gern hat er sich in seinen Werken ja auch der Camouflage bedient. Wer etwas mehr über Warhols Inneres wissen möchte, kann mal bei Truman Capote, dem bissigen und schonungslosen New Yorker Literaten und Romanautor nachlesen. Der ging in der Factory ein und aus, kannte Gott und die Welt und ließ an keinem ein gutes Haar.




Hier kommen noch Literaturangaben. Die Zitate, die ich verwendet habe, sind alle in den dort abgedruckten Texten und Anmerkungen zu finden.


Pop Art
Georg Kolberg, Ingelore Ebeling
VistaPoint Verlag, 1986


Künstler
Lexikon der Gegenwartskunst,
Verlag Weltkunst, München, 1988


PopArt
Die PopArt Show
Katalog
Museum Ludwig, Köln, 1998


Andy Warhol
The Last Supper
Staatsgalerie Moderne Kunst, München
München 1998


Museum of Modern Art, New York, Website


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