Bericht vom 25.02.2006
Dietrich Buxtehude – Membra Jesu Nostri
Kantatenzyklus zur Passion, Bremer Barock Consort Leitung: Klaus Eichhorn
© Jutta de Vries
Die letzten schrillen Tröten vom Umzug in der Stader Altstadt waren am Karnevalssamstag kaum verklungen, als in St. Wilhadi schon die Passionszeit Einzug hielt. Klaus Eichhorn, Professor an der HfK Bremen und Spezialist für Alte Musik ist ja in Stade immer sehr willkommen mit seinen ausgefeilten Interpretationen. Diesmal hat er mit dem studentischen Bremer Barock Consort und der Capella Cantorum Berlin Dietrich Buxtehudes Passionszyklus „Membra Jesu Nostri“ für die Bremer Marktkirche St. Marien erarbeitet, und die Stader Kirchenmusik-Freunde durften sich über die Voraufführung eines ziemlich unbekannten Werks freuen, dessen Art für norddeutsche protestantische Kirchenmusik der Zeit durchaus ungewöhnlich erscheint.
Buxtehude schrieb das Werk 1680 für seine berühmten Abendmusiken in der Lübecker Marienkirche und widmete es dem Schwedischen König. Es ist eine Passions-Meditation, die nicht das Passionsgeschehen als Handlung kommentiert wie es in den dramatischen Oratorien von Schütz oder später von Bach der Fall ist, sondern sich auf Betrachtung und Anbetung beschränkt. In sieben Kantaten werden sieben geschundene Körperteile des Gekreuzigten fokussiert: Füße, Kniee, Hände, Seite, Brust Herz und Antlitz.
Der lateinische Text ist neben der Vulgata, der lateinischen Bibelfassung, dem Anbetungsgedicht „rythmica oratio“ aus dem 12. Jt. entnommen; der Dichter soll der Zisterzienserordens-Gründer Bernard de Clairvaux sein. Unglaublich für eine solche Kantate, dass sie nicht der pietistischen Schere zum Opfer fiel - vielleicht gibt es einen Zusammenhang zwischen der tiefen Individual-Mystik des gotischen Mittelalters zur emotional tief und körperlich fast erotisch empfundenen, dramatisch explodierenden metaphysischen Vorstellungskraft der physischen Leiden im Passionsgeschehen bei den Menschen im 17. Jt.
Dass die sieben Kantaten eine gedankliche Einheit bilden, zeigt die musikalische Klammer der Tonart c-moll. Die mittleren Kantaten stehen in den verwandten moll-Tonarten. Besonders meditative Ruhe ist in der Form vorgegeben, die im Wesentlichen dem gleichen Schema folgt: Sonata, Chor, Verse für Solostimmen in verschiedenen Zusammenstellungen, Schlusschor. Die letzte Kantate mündet in eine bewegte und bewegende Amen-Fuge.
Das kleine 5-stimmige Instrumental-Ensemble mit zwei Violinen und Basso continuo aus Gambe, Violone, Erzlaute, Dulzian und Kastenorgel macht schöne, hörgenaue Musik. setzt Akzente und schwingt klingende Bögen zu Inhalt und Sprache.
Wie wichtig Buxtehude diese Klangrede ist, zeigt die sechste, die Herz-Kantate. Sie ist ein Höhepunkt des Abends. Hier bringt die besondere Besetzung mit fünf gut aufeinander abgestimmten, sensiblen Gamben und Orgelgrund den mystischen Klangteppich zwischen Süße und Schmerz hervor, der tief zu Herzen geht.
Auch der Vokalpart ist fünfstimmig angelegt, im Solo wie auch im Chor, der hier mit der Capella Cantorum Berlin nur doppelt besetzt war. Schlanke, gut in der historisierenden Manier geführte, strahlende Stimmen mit schlackenlosem Timbre werden da herangebildet, die die schwierigen Einsätze und musikalischen Verschränkungen schon geschickt meistern.
Klaus Eichhorn ließ in wesentlichen Teilen viel Entfaltungsspielraum für das Ensemble. Das nutzte die offensichtlich sehr sorgfältige Einstudierung als Freiraum für eine Interpretation, die das Gegensätzliche von trauernder Kontemplation und heiterer Gewissheit liebender Erlösung zu einer intensiven schlüssigen Synthese führt.
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