Bericht vom 06.06.2018
"klein aber fein"
Kunstverein Stade - Kunstpunkt Schleusenhaus
© Jutta de Vries
Kunstverein Stade - Kunstpunkt Schleusenhaus
„klein aber fein“
Künstler und Künstlerinnen des BBK Stade-Cuxhaven
Einführung zur Vernissage am 6.Mai. 2018
©Jutta de Vries
„klein aber fein“, liebe Freunde, welch ein Anspruch, ja, geradezu welcher Höhenflug liegt im Titel der neuen Ausstellung im Kunstpunkt Schleusenhaus! Da zeigen die BBK-Künstlerinnen und Künstler selbstbewußt ihre Flagge. Sie treten zurück von der globalen Manie des immer größer, weiter, anmaßender ausholenden Kunstgeschreis und zeigen hier in den intimen Räumen, wie groß die Welt im Kleinen sein kann und wie viel Kraft die präzise und knapp gefaßte künstlerische Idee ausstrahlt – vergleichbar der Poesie, die komplexe Sachverhalte auch mit wenigen Wortbildern auf den Punkt bringen kann.
Es begegnen uns also heute die poetischen Feinheiten des Reduzierten, des Bruchstückhaften, Gerafften, Angedeuteten und Pointierten, die den Kern von menschelnden Momenten in sich tragen, den Kern des Humors, der Stille, der Trauer, der Sehnsucht, oder auch die Tiefen kosmischer Klänge.
Eigentlich könnte ich jetzt schon schließen, es ist alles klar umrissen und komprimiert gesagt, passend zum Thema...aber es ist mir natürlich ein Herzensanliegen, die BBK-KünstlerInnen zu würdigen, die ich jetzt schon fast alle über 30 Jahre kenne und mit ihnen sozusagen seither auf dem Weg bin. Wie spannend ist es, zu sehen, wie die Handschrift eines/einer jeden, sozusagen der künstlerische Fingerabdruck, authentisch bleibt – es ändern sich natürlich im Lauf der Zeit die Themen, die Palette, der Stil, die Materialien und das Medium, aber immer schärft sich das künstlerische Profil. Und deshalb freue ich mich immer sehr, mit Euch/Ihnen gemeinsam in eine Ausstellung einzusteigen, und nun möchte ich Euch gern vorstellen: herzlich willkommen - Raimund Adametz, Heide Duwe, Herbert Eggert, Minke Havemann, Birgit Jaenicke, Eva Maria Jensch, Imke Korth-Sander, Birgit Lindemann, Ingeborg Steinhage und Barbara Uebel. Schmerzlich vermissen wir Maria Mathieu in der Runde. Sie trauert um ihren Ehemann und konnte daher die Ausstellung nicht bestücken. Unsere Gedanken sind heute auch bei ihr.
Ich glaube, es würde den Rahmen sprengen, wenn ich Ihnen nun an dieser Stelle die sehr respektablen Viten der 10 Künstlerinnen vortragen oder noch über den BBK Stade-Cuxhaven erzählen würde, in dem ja insgesamt 27KünstlerInnen vertreten sind. Wer kennt sie eigentlich nicht - es ist ja beinahe wie ein Heimspiel heute hier im Schleusenhaus! Sie können aber auf dem Medientisch in einer Mappe noch einmal alle Infos finden.
Vielleicht machen wir lieber einen virtuellen Rundgang in der Ausstellung, die das Künstler-Aufbauteam stimmig konzipiert und schlüssig dem Schleusenhaus-Areal eingepaßt hat, mit Durchblicken, die neugierig auf den nächsten Raum machen, mit nachbarschaftlichen Steigerungen der Wirkungsweisen, mit homogenen und kontrastierenden Stimmungen der sehr unterschiedlichen Arbeiten. Es ist eine große Bandbreite vertreten: klassische Zeichnung und digitale Grafik, Malerei, Plastik, Skulptur, Fotografie, Objekt, Materialcollage und last but not least, die Textilkunst.
Gleich im ersten Raum hat Raimund Adametz seine kostbaren Wolle-Seide-Tapisserien gehängt, es leuchten die Naturfarben über italienischer Landschaft und der seit Ewigkeiten „unter demselben Himmel“ migrierenden Menschheit. Berühmt sind ja längst Adametz’ bewebte und schützend belebte Ziegelobjekte, hier tragen sie das gebrochene Uhrmotiv, auf der Suche nach der verlorenen Zeit; ein Hauch von Heimat, weil Lehm und Ziegel in unserem „Nasses Dreieck“ zu Hause sind.
Den „Hauch von Heimat“ vertritt unwiderstehlich auch Eva Maria Jensch mit ihrer ach so menschlich-schrottigen Küsten-Menagerie. Je mehr man guckt, je mehr man sieht, und Eva sieht vor ihrem phantasiegeübten Auge in jeder Hacke, jeder Säge, jeder kleinen Drahtfeder schon den dazugehörigen Fisch, den Watvogel und den Schnodder am Schnabel.
Kontrastprogramm ist Herbert Eggert, der als Maler die Technik der Computer-Zeichnung im konstruktiven Stil der neuen Sachlichkeit für sich vervollkommnet hat. Seine Serie zielt kokett und hintergründig knapp ins allzu Menschliche.
Birgit Lindemann formt stille Figuren aus Terrakotta, die sie mit stillen sanften Farben faßt. „Abschied“ lenkt den Betrachterblick in den zweiten Raum, der Blick der kleinen Figur aber ist ins Weite gerichtet und darüber hinaus in die Einsamkeit. Auch eine weitere Arbeit im letzten Raum, scheint in Stille zu verharren, hier mit Schwimmflossen, als warte sie auf die große Flut im Zuge der Erderwärmung. So wenig kann so viel sein und bis ins Herz erschüttern.
Viel Bewegtes kontrastiert im großen Raum: an der Stirnwand macht der wachsende Schatten und nicht der Cellist in Heide Duwes Fotoserie die Musik, die synesthetisch auch immer lauter zu werden scheint, je größer die Nahsicht wird. Schatten haben es Heide Duwe, der sensiblen Libellen-Zeichnerin, angetan: In der zweiten Serie (an der Heizungswand) korrespondieren reales Insekt, Zeichnung und Schatten achtsam und beinahe ehrfürchtig im fotografischen Report.
Auch Imke Korth-Sander thematisiert die Natur. Wenige bewegte, farbreduzierte Pinselspuren in der Bildfläche reizen das Vorstellungsvermögen zum „Nach-Denken“ von Landschaft. Das Beinahe-Nichts ist eine Suggestion von ungeheurer Kraft, die den Gegenstand herausfordert. Die spontane Bewegung der Pinselspur gibt auch den Bildfolgen viel Bewegung.
Natur auch bei Ingeborg Steinhage:
Für mich betritt sie mit ihrer Serie „NeuLand“ tatsächlich Neuland, denn ich kenne Ingeborg als Malerin abstrahierender räumlicher Themen. Der Thematik bleibt sie treu, die Technik wird digital: übereinander gelagerte Farbflecken suggerieren in der Tat die Technik der Landgewinnung, das langsame Wachsen neuen Bodens in verschiedenen Seinszuständen. Die an sich gegenstandsfreien, positiv stimmenden Farbverläufe sind sprechend. Ebenso spannend wirkt Ingeborgs digitale Grafikserie im letzten Raum. Bei der diesmal schwarz-weiß belassenen rhythmisch gestreut- und geballten Minimalistik der Zypressen überfällt mich sofort die Italiensehnsucht!
Zurück in den großen Raum: in starker Präsenz tanzen auf ihren schlanken Podesten die abstrakten Skulpturen-Minis von Barbara Uebel. Da gibt es nämlich im Atelier eine große Kiste aus alter Zeit, in der sich kleine Mooreichenstücke angesammelt haben, und immer wieder greift Barbara hinein und nimmt die Herausforderung des eisenharten Materials an: überflüssiges wird weg genommen, dann zeigt sich, was das Holz will, und Barbara folgt mit ihrem Formgedanken dem Material und seinem natürlichen Weg, „es“ arbeitet das Kunstwerk, Barbara sagt selbst, sie hat nur einen kleinen Anteil daran. Die Natur als Künstlerin fasziniert immer wieder, der Blick fürs Wesentliche und die sensible Kraft der Bildhauerin aber auch. Das sind alles Lieblingsstücke...
Birgit Jaenicke bespielt den Bereich an der oberen Stirnwand des Saals. Auch sie ist achtsam der Natur zugewandt, mit Edding, Buntstift oder Tusche zeichnet sie akribisch, aber mit tänzerischen Bewegungen des Papiers eine Vielzahl von Blattreihungen, die als Symbole für den Begriff „Baum“ oder „Wald“ stehen können – auch hier ist unsere Gabe der additiven Kognition gefragt. Wir ergänzen im Geiste, was wir wissen, aber nicht sehen. Viel entdecken kann man auch beim genauen erforschen der gerahmten leuchtend blauen Materialteile auf schwarzem Hintergrund. Von nah gesehen erkennt man die diffizile Technik vieler Material- und Farbschichten, die sind der Hingucker, das unregelmäßige Stück wirkt wie eine kleine Insel. So sehen die Materialstücke aus, aus denen Birgit ihre raumfüllenden Bodenarbeiten zusammensetzt. Tritt man weiter zurück, erliegt man der Einbildung, es handle sich um ein Stück blauen Himmels, das durch eine Kuppelöffnung in einen dunklen Raum dringt, in dem wir uns befinden, klitzeklein...
Auf unserem Weg durch die Ausstellung sind wir im letzten Raum angekommen.
Minke Havemann zeigt unterschiedliche Gattungen. Zwei luzide Stillleben sind ihre Verbeugung vor dem italienischen Flaschen-Stillebenmaler Giorgio Morandi; Minkes authentische Flaschensammlungen sind aber nahsichtig und am unteren Rand angeschnitten, auch findet sich in jedem Werk ein Behältnis aus ihrem Haushalt, eine persönliche, wirklich hörbare Stille im stillen, durchsichtigen Raum. Raum vermittelt auch die konstruktivistische Arbeit mit ihren durchsichtigen Überlagerungen und wechselnden Perspektiven. Hier wie auch in vielen der jüngeren Bilder verbergen sich collageartige Einschübe in der perfekten Feinmalerei.
Es schließt sich der Kreis, vom anfänglichen „unterwegs“ der Menschen auf Raimunds Tapisserie mit Minkes kleinen Formaten aus ihrer „unterwegs“- Reihe. Wir, die Betrachter, blicken durch Zerstörung und Verfall in eine zweifelhafte Meeresweite. Tore, Portale, Türen stehen in Minkes Arbeiten sinnbildhaft für Vieles: zum Beispiel für Geborgensein und Heimat, sich nach außen öffnen, Neues erkennen – aber auch für das genaue Gegenteil, wenn sie verschlossen bleiben. Und sind sie gewaltsam zerbrochen, folgt die Katastrophe.
Diese Ausstellung hat viele Facetten der Größe in ihrer kleinformatigen Feinheit, sie ist leise, sie ist nachdenklich, fröhlich, spitzfindig, sucht die Reduktion in der Form, spielt mit dem Zeitbegriff und ist in Ansätzen leise politisch. Klein, aber oho!
Und nun ist Zeit fürs Genießen der Kunst. Dazu gebe ich Ihnen noch schnell ein Zitat des berühmten Fotokünstlers Jeff Wall mit auf den Weg:
„Das Großartige an bildlicher Kunst ist daß man keiner Kenntnisse bedarf, um sie zu genießen, wenn man sie denn genießen kann. Wenn man sie genießt, dann ist die Zahl der möglichen Reaktionen unbegrenzt, und es gibt auch keine wirkliche Ordnung bezüglich der Richtungen, in denen man sie auf sich wirken lassen kann. Die Freude, die man an der Kunst hat, strahlt also gewissermaßen auf einen ab, verleiht einem Energie und regt einen an. Wenn man sich dann wieder dem Alltagsleben zuwendet, dann nimmt man einige dieser Gefühle mit.“
Genießen Sie!
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