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Viva, Arte, Viva!

©Jutta de Vries

So ruft es derzeit in Venedig nicht nur im Bereich der Biennale-Locations Giardini und Arsenale, sondern überall in der Stadt

Die diesjährige Kuratorin Christine Macel, Chefin des Pariser Pompidou, hat das Motto ausgerufen, und  nach dem schweißtreibenden Absolvieren des weltweiten Kunst-Parcours weiß man gar nicht so genau, wie man diesen Titel übersetzen soll: „Es lebe die Kunst“ oder „Kunst, nun lebe doch endlich mal!“ 

In der Tat gibt es kaum Lebendiges im Außenraum wie sonst, kein Papierschiff mit den neuesten Horrormeldungen dümpelt im Bacino, keine Megaskulptur betont die Kaispitze an San Giorgio Maggiore. Dafür steht der erwartungsfrohe Biennale-Besucher im Zentralen Pavillon der Kuratorin dem Bild des schlafenden Künstlers gegenüber. Auch die Sofalandschaften vom seligen Franz West sind da: so sinnfällig ist, daß der Künstler/die Künstlerin im Schlaf oder in der Ruhe die Kunst gebiert... soll das ein Witz sein?  

In seiner Begrüßungsrede hat Paolo Baratta, Präsident der Biennale di Venezia, gejubelt:

"Mit der 57. Ausstellung wird eine weitere Entwicklung eingeführt. Es ist, als würde das, was stets die wichtigste Methode unserer Arbeit sein muss, nämlich Begegnung und Dialog, zum eigentlichen Thema der Ausstellung, denn diese Biennale findet ihre Bestimmung gerade darin, die Existenz der Kunst und der Kunstschaffenden selbst zu feiern und ihnen sozusagen Dank abzustatten, die uns mit ihren Welten eine Aufweitung unseres Horizonts und unseres gesamten Daseinsraumes schenken.“ Eine Ausstellung, die sich am Humanismus inspiriert, so drückt es Christine Macel aus. „(…) Es ist ein Humanismus, in dem das künstlerische Handeln gleichzeitig ein Akt des Widerstands, der Befreiung und der Freigebigkeit wird." 

Hand anlegen dürfen die Besucher tatsächlich beim Bau von grünen Lampen, seriell vorgefertigt von Olafur Eliasson und seinen Flüchtlings-Assistenten. Teuer kaufen darf man das Produkt dann auch. Die Kunstbeflissenen dürfen im japanischen Pavillon Teil einer Installation werden, die an Michelangelo Pistolettos „Lumpenvenus“ erinnert, die übrigens in einer grandiosen Pistoletto-Retrospektive am Rande der Biennale in der Fondazione Cini auf der Isola San Giorgio Maggiore auch zu sehen ist. Es ist überhaupt ein Phänomen, daß die sogenannten Collaterali – es werden jedes Mal mehr – größere Dichte und Präsenz zeigen. Etwa auch die Boetti-Rückschau im Cini, Philipp Guston in der Accademia, oder das irre  Bronze-Wunderland von Damian Hirst an den beiden Standorten der Fondazione Francois Pinault. Auch die Fondazione Prada in der Ca’ Corner della Regina gibt eine nachhaltig wirkende Schau heraus. The Boat is Leaking. The Captain Lied“. Udo Kittelmann als Kurator läßt die Künstler Thomas Demand, Anna Viebrock und Alexander Kluge die grandiosen Säle bespielen.

 

In den Giardini flaniert man fröhlich herum und freut sich an Marc Bradfords US-Brutalismen, an Phyllida Barlows großen bunten britischen „Folly“- Kugeln, kühlt sich an den Fontänen des ruinösen Kanada, ist begeistert von der finnischen Erfindung der Welt im Zeichentrick, besteigt Erwin Wurms umgestürzten Lastwagen für einen grandiosen Überblick - und ist im Gefühl einer heiteren Kunst-Unterhaltung bestärkt. 

Die setzt sich im Arsenale gern fort. Dekoratives ist hier Programm: beim Nähen darf man sich beweisen; die signalfarbigen Riesen Woll-Bälle von Sheila Hicks machen sich prima als Selfie-Hintergrund, es gibt einen Schamanen- und einen dionysischen, sprich dem Eros gewidmeten Pavillon. Alicia Kwade legt ein steinernes Riesen-Billardkugel-Set  in die Laufroute am Wasser und meint damit den Planetenhimmel. Einer der wenigen Lichtblicke ist das ausgedehnte Christus-Devozionalien-Projekt im Futuro-Design von Roberto Cuoghi im Italienischen Pavillion.

Und da war beim Preview in höchst eigener Person der liebenswerte, für sein Lebenswerk mit dem silbernen Löwen geehrte Professor am Hamburger Lerchenfeld, Franz-Erhard Walther, der es sich nicht nehmen ließ, in seinen strengen Farb-Architekturen eine ebenso strenge Performance vorzuführen.

Das Gefühl des heiteren „So-Sein“ in der Kunst stellt sich am Deutschen Pavillon dann eben nicht ein. Anne Imhof, in aller Munde, da sie  - ganz zu Recht – den diesjährigen Goldenen Löwen gewonnen hat – fächert mit ihrem „Faust“ eine ganze Palette an Techniken und divergent verschlüsselten künstlerischen Methoden auf: zunächst einmal die Architektur des stets gescholtenen Deutschen Pavillons. Der stellt sich so licht und durchsichtig dar wie selten, ganze Höhe, eingezogener Glasboden  in dreiviertel Stehhöhe, an den weißen Wänden hie und da ein gläsernes „Sitzbrett“,  davor ein Zwinger, bewohnt von zwei agilen, bildschönen Dobermännern. Gesperrter Haupteingang, alle langen Besucherschlangen winden sich zum Seiteneingang. Dann Performance. Vier Stunden der geplante Durchgang, gekürzte Versionen sind die Regel. Auf und unter dem gläsernen Boden spielt sich das Drama des Lebens und der Faustischen Suche nach - wer weiß was? – Gott? – ab. Junge Frauen und Männer, Anne Imhofs erprobtes Team, performen eine ausufernde Choreografie. Tanz, Musik, Theater, Happening, es ist der totale Anspruch an die Künste, im totalen Raum, mit wenigen elementaren Versatzstücken, auch Feuer und Wasser fehlen nicht. Mittendrin das Publikum, mal nahtlos, mal als Voyeur.

Dabei gewesen sein ist hier alles.

Viva Arte ist insgesamt nicht zu verachten, wenn man sie vermutlich auch bald vergißt, wie viele leichte, unterhaltsame Erlebnisse im Leben. 

Und wenn Goethe schon latent vorhanden ist, kann man ihn auch zitieren: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst...“

Ganz anders sieht es auf der diesjährigen Documenta aus.

Ein Durchgang in Kassel, und man sehnt sich nach dem Heiteren, gewissermaßen Unpolitischen in der Kunst unter dem blauen italienischen Himmel.

Von Athen lernen! (Noch ein Ausrufezeichen)

Documenta 14 Athen/Kassel 

 

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