Bericht vom 23.11.2016
Die Bildende Kunst in Böhmen und Mähren im Spiegel der Europäischen Kunstgeschichte
Vortrag im Rahmen der MAS-Jahrestagung am 12. November 2016,
© Jutta de Vries
Die Bildende Kunst in Böhmen und Mähren
im Spiegel der Europäischen Kunstgeschichte
Vortrag im Rahmen der MAS-Jahrestagung am 12. November 2016,
Maritim Hotel Lübeck Travemünde
©Jutta de Vries
Die Menschen in Böhmen und Mähren haben im Lauf der Jahrtausende ihre Kultur mit reichen bildkünstlerischen Werken profiliert;
meine Fragestellung heute ist, inwieweit sich in diesen Ländern eine national geprägte Kunst entwickeln konnte, waren sie doch über mehr als 1000 Jahre wechselnden europäischen Fremdherrschaften unterworfen. Gibt es bildkünstlerisch typisch böhmisch-mährische Formen ähnlich der musikalischen Entwicklung?
Ich lade Sie herzlich ein, mich auf dieser Spurensuche zu begleiten.
Wir beginnen ganz früh, im Jungpaläolithikum, mit diesen drei Grazien im Vergleich.
Europa und auch Böhmen und Mähren waren schon in der mittleren Altsteinzeit besiedelt, was viele Werkzeug- und Knochenfunde belegen.
(Vergleich Fruchbarkeitsidole)
In der Bronzezeit (2200) wurde Böhmen von Kelten besiedelt. Von ihrem Stamm der Boier leitet sich der Name Bohemia ab. Im 1. Nachchristlichen Jahrhundert sind Germanische Stämme belegt. Während der großen europäischen Völkerwanderungszeit ab dem 4. Jh. wird von einer Entvölkerung des Gebiets gesprochen, in das dann um 550 n.Chr. slawische Stämme von Osten einwanderten.
Aus dem Dunkel der Geschichte taucht die Gegend mit einem gewissen Samo auf, der als erster Herrscher benannt wird. Wahrscheinlich führte er einen Zusammenschluß mehrerer Stämme, der ungefähr die Slowakei, Mähren, Niederösterreich, Kärnten, die Lausitz und Böhmen umfaßte. Samo scheint ein Franke gewesen zu sein, der als Kaufmann in die östlichen Slawengebiete gekommen war. So taucht der Name Böhmen und Mähren auch zuerst im 9. Jh. in fränkischen Quellen auf. Gern hätte Karl der Große das böhmische Gebiet seinem Reich einverleibt, was nach verlustreichen Kämpfen letztlich nicht gelang, das Gebiet aber in Agonie versetzte. Dafür tritt das Mährische Teil-Reich in den Vordergrund. Die Handelsrouten entlang der Donau sorgten für ein Aufblühen, Und Ende des 9. Jh. hatte Fürst Svatopluk I. einen Einflußbereich für sich gewonnen, der auch das geschwächte Böhmen einschloß (Karte)
In Böhmen war sein Statthalter ein gewisser Bojivoj I., der das Premysliden-Geschlecht begründete. Davon hören wir später noch mehr, da unter den Premysliden-Herrschern die Kultur im Land eine erste Bedeutung hatte. Ende des 9. Jahrhunderts errichteten die Přemysliden-Fürsten eine große Festung auf einem Hügel an der Elbe, Hradschin (Burgberg) der bis heute das Bild der Stadt Prag beherrscht.
Der Sage nach soll Prag um 800 von der Fürstin Libussa gegründet worden sein, die, auf einem felsigen Hügel über dem rechten Ufer der Moldau stehend, die Vision von einer glanzvollen Stadt gehabt haben soll.
Ins 9. Jh. fällt auch die Christianisierung des Bereichs. Einerseits ging die Missionierung vom Frankenreich aus, Regensburg und Passau sind hier zu nennen, von Osten kamen aber die „Slawenapostel“ Kyrill und Method, sie brachten den Ritus der Ostkirche aus Byzanz und damit die altkirchenslawische Schriftsprache für die Lithurgie. Method war es auch, der den böhmischen Fürsten Bojivoj und seine Frau Ludmilla taufte.
Deren Sohn Vratislav I. ist sein Nachfolger. Von ihm übernimmt der 20jährige Sohn Wenzel das Fürstenamt, wird aber bald von seinem Bruder Boleslav und dessen Gefolge ermordet, um den Thron zu erobern. Vorher erkennt er aber noch den Deutschen König Otto II. als Lehnsherrn an. Damit gehörte Böhmen und Mähren Anfang des 10. Jh. zum Heiligen Reich Deutscher Nation, sozusagen ein früher Beitritt zu Europa. Folie (Adalbert erhält Bischofsttab, Legende Dragomira und Ermordung, Folie)
Diese Geschichte gehört zu den nationalen Legenden der Böhmen, die mündlich von Generation zu Generation weiter gegeben wurden, und bald wurde Wenzel, der unschuldig ermordete, zum nationalen Heiligen. Seine Großmutter Ludmilla ebenfalls. In späteren Jahren wurde die Heiligenegende dann schriftlich niedergelegt und auch illuminiert. (Folien)
Im späten 11. Jh. konsolidiert sich der Staat allmählich, nach unzähligen Machtkämpfen mit mehreren Familienzweigen und politischen Nachbarn. Vratislaw II tritt aus dem Dunkel der Geschichte, als er von Kaiser Heinrich IV zum König in Böhmen ernannt wird.
Hier haben wir auch ein fast zeitgenössisches Fresco aus der Marienkapelle in Znaim (Folie)
Im 12. Jh erhielt auch Vladislav II den Königstitel verliehen, der bis dahin nicht erblich war (Folie) Erst Ottokar I (1192-94) erhielt vom Kaiser den erblichen Königstitel. Er wurde ihm und den Nachkommen durch Friedrich II 1202 zu erkannt. Erworben hatte Ottokar sich dieses Privileg durch geschickte Europapolitik im Thronstreit zwischen Philip von Schwaben und Otto IV.
Ottokars Sohn Wenzel fing dann so richtg an, das Reich zu vergrößern, er hatte eine Schwester Philipps v. Schwaben geheiratet und war jetzt mittendrin im Geschehen des heiligen römischen Reichs. Sein Sohn Ottokar II heiratete die Babenberger Prinzessin Margarethe, dadurch erwarb er Österreich. Uns so sah der Herrschaftsbereich unter Ottokar II aus: (Folie) Aber Hochmut kommt vor dem Fall – In der Schlacht von Dürnkrut gegen Otto von Habsburg – der wollte sein Österreich wieder haben- wurde er 1278 getötet. Auch seine Nachfolger saßen nicht lange und glücklich auf dem böhmisch-mährischen Königsthron; innere Querelen und Morde führten dazu, daß die männlichen Linien der Premysliden 1306 ausstarben.
Elisabeth, überlebende Tochter des letzten Premyliden OttokarII. hatte Herzog Johann von Luxemburg geheiratet, nicht ohne Gemauschel des böhmischen Adels und der Reichsführten. (Johann von Luxemburg war Sohn des Kaisers HeinrichVII, man brauchte Böhmen und Mähren als christliches Bollwerk gegen den heidnischen Osten)und so kam es 1310 zur Thronbesteigung des Luxemburger Sprößlings auf dem böhmischen Thron.
Das Böhmisch-Mährische Reich rückte somit mehr in das Zentrum Europas. König Johann war ein erfolgreicher, zwar ungeliebter und herrschsüchtiger Regent, der seine Hausmacht ausdehnte, aber die starken Adelsstände im Innern nicht bändigen konnte und auch mit seiner Elisabeth nicht klar kam; Kunst förderte er nicht. Aus seiner Zeit kennen wir aber eine wunderbare Handschrift, die der Hofschreiber Velislav stiftete – ein Kompendium im Sinne einer Armenbibel, die auch ein Kapitel zur Landesgeschichte umfaßt. (Folien)
Johann hatte einen richtigen Schritt getan, als er seinen jungen Sohn Wenzel, den Thronfolger, nach Paris zur Erziehung an den Hof seines Onkels König Karl sandte. Dieser Patenonkel bereitete den intelligenten Wenzel vollendet auf sein Königsamt vor und machte einen kunstsinnigen Diplomaten aus ihm. Allerdings hat er sich als junger Mann auf Reisen auch so richtig ausgelebt, wird zumindest berichtet. Die beiden müssen sich gut verstanden haben, Wenzel nimmt bei der Firmung den Namen „Karl“ des Paten an. Und so kommt es, daß nach Johanns Tod 1337 nicht ein „WenzelIV“ auf den Thron folgt, sondern Karl I. 1355 wird er Kaiser Karl IV., Repräsentant des heiligen römischen Reiches Deutscher Nation.
Unter Karl IV. hatte seine böhmische Hausmacht folgende Ausdehnung (Folie) und gelangte zu ungeahnter Hochblüte. „Was Augustus für Rom, das hat Karl IV. für die Hauptstadt Böhmens bewirkt“ schreibt Umberto Decembrio 1399.
Prag wird die Hauptstadt des Deutschen Reichs, in seinen Besitzungen außerhalb Böhmens schafft Karl weitere Kaiserburgen, z.B. in Tangermünde.
Die Karolingische Epoche ist ein Kulturbegriff auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht. Karl nutzte die Gunst der Stunde, weil im Kern-Europa heillose Zustände herrschten: Frankreich und England zerfleischen sich im 100jährigen Krieg, Die Päpste leben im Schisma und in Deutschland hielt man sich still, Konsolidierung unter den Reichsfürsten war angesagt. Der Rückzug der Großen von der gesellschaftspolitischen Bühne ließ die Randstaaten ins Licht rücken: neben Karl und Böhmen waren das Österreich, Ungarn, Serbien, Polen, der preußische Ordensstaat und Dänemark – alle geführt von jungen Fürsten. Kals Vitalität und das Interesse an verwaltungspolitischen Innovationen bei steigender Bevölkerung (vor allem Zuzug aus dem deutschsprachigen Bereich) und Stärkung der Wirtschaftskraft brachte auch eine Hinwendung zum Staats- und Königskult. Die seit Otto d. Großen in Böhmen geltende deutsche Sprache und das deutsche Recht, gestärkt durch gezielte Einwanderungspolitik, gilt in den Städten und für die Burgsasssen. In der Hofkanzlei, der obersten Instanz des Reichs, gilt das prunkende Latein. Diese Macht steht gegenüber dem böhmischen Landadel und den Landständen, dort wird tschechisch gesprochen und nach böhmisch-tschechischem Recht verfahren. Schwierige Sache für die Regierung – Als Kaiser versucht Karl, das Recht des gesamten Reiches unter einen Hut zu bringen und legt beim Reichstag zu Nürnberg ein sehr ausgleichendes Gesetz dazu vor, das auch die Thronfolgemodalitäten der deutschen Könige umfaßte, praktisch ist dies das erste deutsche Grundgesetz gewesen. (Folie) In der Frage der Thronfolgeregelung war man sich schnell einig; was die Regelungen in den einzelnen Ländern betraf, mußte Karl auch für Böhmen zurück stecken, die Privilegien gingen dem Adel nicht weit genug. Immerhin konnte Zweisprachigkeit durchgesetzt werden und gleiches Reichs-Recht für alle. Dennoch ist dieses Gesetzbuch als erster Versuch, das Reich juristisch zu einigen, wert, zum Weltkulturerbe ernannt zu werden. Es ist die sogenannte berühmte Goldene Bulle von 1356. (Folien)
Karl ließ das Bistum Prag (Mainz zugehörig) gemeinsam noch mit seinem Vater zum Erzbistum erheben (1344), dabei halfen ihm die guten Kontakte zu Papst Clemens; er gründete 1348 in Prag die erste Universität in Mitteleuropa, die erste deutsche Universität, die für mindestens 100 Jahre zu den berühmten geistigen Orten Europas zählte, auch Dr. Faustus wird hier übrigens angesiedelt, nicht nur der Rabbi Löw mit seinem Golem.
Unter Karls Regierung wurde mit dem Prager Kanzleideutsch eine erste Grundlage für eine einheitliche deutsche Schriftsprache gelegt, fast 200 Jahre vor Luther - und es tritt ins Licht der Geschichte ein gewisser Jan Hus, der mit seinen akademischen und religionskritischen Schriften die Grundlagen der modernen tschechischen Sprache legte.
Über Hus und die fatalen Folgen für das Reich hören wir später mehr.
Karl entwickelte noch mehr Ideen für die neue Staatskunst, unter anderem stärkt er das „Wir-Gefühl“ (Nationales Denken wäre noch zu viel gesagt): er stärkt und fördert den Kult der Heiligen, vor allem des Wenzel, und er baut die Residenz aus, entwickelt den neuen Dom St. Vitus in hochgotischem Stil nach französischem Muster, den sein Vater ja schon begonnen hatte, gründet die Prager Neustadt, womit er den Glanz seiner Hauptstadt erhöht. Sie ist damit die 3.größte des Abendlandes nach Rom und Paris.; er gründet Karlsbad, natürlich mit seinem Namen; vier Karls-Burgen entstehen in Böhmen, von denen der Karlstejn (Folie)am prächstigsten und sichersten ausgestattet war, er war zur Aufnahme seiner großen Reliquiensammlung und der Reichskleinodien bestimmt, die bis zu seiner Amtszeit in Nürnberg verwahrt worden waren. (Folien) Er hat die Burg auch als Sommersitz geplant und fürstlich ausmalen lassen, es sollte insgesamt ein Schatzkästlein sein, wegen seiner hohen Bedeutung als Hort der Reichsinsignien. Und hier begegnen wir dem Meister Theoderich, der als erster Maler Prags namentlich genannt wird und offensichtlich auch aus Böhmen stammte. Er wird erwähnt von 1348 bis 1380, und so hat er sich selbst gesehen: Es wird vermutet, daß er dem hl. Laurentius seine Züge gegeben habe. Darauf kommen wir später zurück.
Karl unterstützte und förderte die schönen Künste, vergibt Aufträge in ganz Europa, vor allem in Italien und hält Kontakt zu den Großen seiner Zeit, dabei geht es nicht immer nur um Kunst: an Petrarca schreibt er z.B. einmal „Sie haben keine Ahnung, wie monströs das Regieren ist!“
Als fanatischer Sammler von Reliquien lebt er seinen Glauben und hat im Hinterkopf den Ruhm und die exorbitanten Einnahmen, die Wallfahrten seinem Land bringen werden. Sein größter Coup ist die Schenkung und Translation der Gebeine des hl. Vitus aus Pavia., die im Veitsdom feierliche Ruhestätte finden. Das wertvollste Stück ist ein Krönungskreuz, in dem die kostbarsten Reliquien untergebracht werden: Knochen vom Hl. Wenzel, ein Dorn der Christuskrone und Nägel vom Kreuz. Die Verehrung der Landesheiligen wird überhöht. Die Reliquiensammlung ist bis heute fast vollzählig erhalten. (Folie)
Karl ließ alljährlich zur Heiltumsfahrt nach Ostern die Kronjuwelen und Reliquien in der Stadt ausstellen.1369 melden die Chronisten den Besucherzahlenrekord von 100000 Pilgern aus ganz Europa. (Folie)
Bis heute gibt es in Prag Wallfahrten, zu der sich Christen aus der ganzen Welt aufmachen.
So lebt Karl IV mit seinen Visionen von der heiligen Weltstadt bis heute , in das 700. Jahr seiner Geburt, in Böhmen weiter.
Geistliche und wirtschaftliche Interessen seiner Herrschaft verbinden in diesem Punkt aufs Schönste und lassen die ganze damalige Welt nach Prag blicken.
Kommen wir zur Malerei seiner Zeit – einige Exponate haben wir ja schon gesehen.
Um 1350 dominiert ein Stil, der gotisch-elegant sich auf flämisch-niederländische, italienische und byzantinische Vorbilder bezieht – begonnen mit Tomaso di Modena, der Schüler des berühmten Giotto war. (Folie) Geistliche Auftragswerke der Zeit nennen selten den Künstler, man behilft sich da mit Dedikationen oder Ortszuweisungen, wie bei der Madonna von Glatz, (Folie), die dem ersten böhmischen Malstil zugerechnet wird, der Eigenständiges mit den meist italienischen Vorbildern verbindet. Oder der Marientod aus Kosatzy, der es mit einer ganzen Reihe von Ähnlichem aufnehmen kann. Im Prager Emaus-Kloster-Kreuzgang wird ähnlich elegant gemalt wie in der Niederländischen Schule, zart, überhöht. (Folien). Mit dem Bau des Karlstejn treten mehrere Maler auf den Plan, von denen wir nur Meister Theoderich etwas fassen können. Er und seine Werkstatt malen die Karlsburg aus, es entstehen Fresken und Tempera-Bilder, vor allem in der Hl-Kreuz-Kapelle, (Folie)in der die Kostbarkeiten aufbewahrt werden. In den 60er Jahren wird die Ausmalung beendet gewesen sein, Theoderich erhält zum Dank vom Kaiser ein Landgut zum erblichen Lehen, es wird auch ein Haus auf dem Prager Burgberg urkundlich erwähnt. Und mit diesem Theoderich, passiert etwas ganz Neues in der Kunstgeschichte. Im 14. Jh. nimmt er praktisch die Renaissance vorweg mit seinen sprechenden, individuellen Gesichtern, mit der derberen Bildsprache, den Sujets, die den Malgrund in Nahsicht ausfüllen, den lebhaften, reinbunten Farborgien, der expressiven Darstellungskraft. In Flandern findet man so einen Stil erst mit Hugo van der Goes im 15. Jh.
Die Kunst unter Karl beschränkt sich nicht nur auf die Malerei, bezieht auch die Skulptur mit ein.
Nach dem Tod des ersten französischen Baumeisters für den Dom, Mathias von Arras, beruft Karl den erst 24jährigen Peter Parler, der mit seiner Bauhütte einen ersten Prager Stil entwickelt, nicht nur beim Dombau, dem Bau der berühmten Karlsbrücke und der Fertigstellung von Burg Karlstejn, sondern auch in der Bauplastik und der freien Plastik. Mit seiner Kunst erwirbt Böhmen erstmals einen Stil, der von dort aus in das Reich ausstrahlt. 1330 geboren und in Köln an der Dombauhütte ausgebildet, mit Stationen in Freiburg und Nürnberg, trifft er vermutlich 1353 den Kaiser, der ihn vom Fleck weg engagiert. Parler stammt aus einer Baumeister-Familie aus Schwäbisch Gmünd was der Name, abgeleitet von „Polier“ schon andeutet. (Folie)
Peter bildet mit seinen Söhnen die Prager Parler-Schule aus, die auch einen neuen Stil in der Skulptur umfaßt. Die eleganten Körperdrehungen der Figuren französisch geprägter Kathedralgotik erhalten hier mehr Bodenständigkeit, die Physiognomien werden individuell ausgeprägt, haben eine tiefere Plastizität. Es entstehen lebensnahe, freie Menschen in Aktion. Parallelen zu Meiste Theoderichs Malerei sind durchaus gegeben.
Ganz wichtig ist die Wenzel-Statue von Parler in der neuen Wenzel-Kapelle, die auch jene klare Kraft des neuen Stils ausdrückt. Der Fresco-Hintergrund zeigt Engelsfiguren in fließenden Gewändern, wie sie auf die Freie Skulptur der Zeit übernommen werden: (Folie) zunächst noch strenger Zackenstil, dann wird der Faltenwurf immer weicher, die Gesichter vor allem der Madonnenfiguren ziehen sich allerdings wieder mehr auf eine typisierte Schönheit zurück. Das gibt der in ganz Europa ähnlich laufenden Entwicklung den Namen des „Schönen weichen Stils“. Böhmen arbeitet hier eng mit Wien zusammen, wie wir im Vergleich erkennen können.
Mit Karls Heiligenverehrung kommt auch die Sitte der Andachtsbilder wieder auf, halbfigurige Madonnen sind vor allem beliebt, und hier greift man in Böhmen zurück auf den orthodoxen Stil der Ikone, der eigentlich in der Malerei immer ein Stück weit mitgeschwungen ist.(Folie) Und eine Entsprechung habe ich noch gefunden, die nicht ganz ernst gemeint ist, schauen Sie mal(Folien)
Karl stirbt 1399.
Chronisten bewerten sein Zeitalter im 14. Jh. mit Recht als das Goldene.
Noch vor 1399 gelingt es Karl aber, die Nachfolge zu sichern und seinen Sohn Wenzel zum römisch-deutschen König krönen zu lassen, die böhmische Erbfolge war ja sowieso gesichert. Wie aber so oft bei Übervätern, kann der Sohn die Erwartungen nicht einlösen, die in ihn gesetzt werden. Er scheint Alkoholiker gewesen zu sein, verliert die klugen Ratgeber seines Vaters, kapselt sich ab. Er ist eine historische Gestalt ohne sympathische Züge. Mit der Reichsführung ist er überfordert und verliert an Ansehen vor allem durch undiplomatisches, unbeherrschtes, ja brutales Verhalten.
Am bekanntesten ist die Geschichte von der ungerechtfertigten Folterung und Tötung des Prager Generalvikars Johannes Nepomuk. Den kennen Sie alle, und die Geschichte geht so: Es geht um den Investiturstreit in einem südböhmischen Kloster, das Mittelpunkt eines neuen Bistums in Südböhmen werden soll, mit dem von Wenzel geplanten, ihm hörigen Abt, der auch neuer Bischof werden soll. Die Klosterbrüder wählen aber den neuen Abt aus den eigenen Reihen, Nepomuk als oberster Verwaltungsbeamter bestätigt schnell auf Bitten des Konvents, der König ist auf Reisen und kann die Einspruchsfrist nicht einhalten. Daraufhin werden mehrere Kleriker gefangen gesetzt und gefoltert, Nepomuk als Verantwortlicher von der Karlsbrücke in die Moldau gestoßen. Bei seinem Kampf mit den Wellen sollen fünf Flämmchen um ihn gewesen sein, die Moldau soll ausgetrocknet sein, damit man den Leichnam gut bergen konnte. Schon in seinem Bericht an den Papst schreibt der Prager Erzbischof, er sei ein Märtyrer. Das Volk verehrt ihn in dem Maße, wie es den König Wenzel verachtet, und besonders nach seiner Heiligsprechung um 1700 werden überall Nepomuk-Statuen an oder auf Brücken aufgestellt. Wegen der fünf Flämmchen wird Nepomuk auch oft mit einem Sternenkranz dargestellt – das ist sonst nur der Madonna vorbehalten.
Wenzel hat es aber auch nicht besonders leicht, er muß sich mit den Glaubenskämpfen der Hussiten im Land und gegenüber den Reichsfürsten und dem Papst auseinandersetzen. Fol1400 verliert er die deutsche Reichskrone, im Innern nehmen die Unruhen zu. Der Rechtsgelehrte Johan Hus kommt an der Prager Universität mit den Schriften des Engländers John Wycif in Kontakt, der schon 100 Jahre vor Luther die weltliche Herrschaft der Kirche, die kirchlichen Anmaßungen oder auch das Sakrament der Eucharistie anprangert. Er pocht auf Selbstbestimmung der Gläubigen und Bildung, damit jeder die Bibel selbst lesen kann. Hus schreibt Wyclifs Ideen zu 45 Thesen zusammen und fand umgehend zahlreiche Anhänger.
Das ist natürlich auch der kirchlichen Situation der Zeit geschuldet – das Schisma, also die inzwischen 3 Papststandorte in Rom, Pisa und Avignon läßt keine gute Führung zu, die Gläubigen sind wütend über die Verschwendung und unsicher in Glaubensdingen. Päpste und Reichsfürsten sind sich aber einig, der aufmüpfigen hussitischen Ketzerei ein Ende bereiten zu müssen. Hus wird 1414 zum Konzil nach Konstanz bestellt, eingekerkert und ein Jahr später auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Die Hinrichtung löste die Hussitenkriege und den ersten Prager Fenstersturz (1419)aus, aufgrund dessen König Wenzel vor Schreck einen Schlaganfall erlitt, an dem er kurz darauf starb.
Durch den Verlust der deutschen Königskrone, die schwache Landesführung, die langen bürgerkriegs-ähnlichen Glaubenskämpfe, die nationalen Auseinandersetzungen zu Beginn des 15. Jh. verlor Böhmen seine Vormachtstellung in Europa.
(Folie)Zwar konnte Wenzels Bruder Sigismund, der durch Heirat König von Ungarn war, die Reichskrone und später auch die böhmische und den Kaisertitel (1433) erringen, und er hatte immerhin zur Beendigung des Schismas beigetragen, es gelang ihm aber nicht, an die goldenen Zeiten seines Vaters anzuknüpfen.
Im Jahr 1437 stirbt er in Südmähren, in Znaim. Sein Land lag kulturell nach 17 jährigen Hussitenkriegen brach, neue künstlerische Schulen hatten sich nicht gebildet. Mit Sigismund stirbt die männliche Linie der Luxemburger auf Böhmens Thron aus.
Sein Wunschkandidat, Schwiegersohn Albrecht von Österreich, wird sein Nachfolger . Damit war die Grundlage der späteren Habsburger Donaumonarchie geschaffen, denn mit der böhmischen Krone fiel auch die Kurwürde an Habsburg. Von 1439 bis 1803, bis zum Reichsdeputationshauptschluß nach Napoleon, stellte das Haus fast durchgehend die deutschen Könige und Kaiser.
Mit dem Verlust der nationalen Eigenständigkeit scheint im 1. Dritttel des 16. Jh. auch ein Verlust eigenständiger künstlerischer Ausdrucksformen einher zu gehen.
Einflüsse großer Meister wie Dürer in der Malerei (Folie),Riemenschneider und der Donauschule in der Plastik (Folie) bestätigen diese Annahme.
Die großen Kaiser der Renaissance Karl V., Philipp II. in Spanien und den Niederlanden; MaximilianI. und Maximilian II. in Österreich ziehen an Böhmen vorbei. Der einzige Habsburger, der nicht in Wien residiert, ist Rudolf II., Erbe Max.II. Erzogen am Hof PhilippII, seines Onkels, wird er 1575 König von Böhmen und zieht in die Königsburg von Prag. Da ist er 23 Jahre alt. Als er 1576 Kaiser wird, behält er die Residenz bei und verlegt den Hof nach Prag, das nun nach über 100 Jahren wieder Hauptstadt des deutsch-römischen Kaiserreichs wird und an den Ruhm des Urahn Karl IV anknüpft. Rudolf baut ein humanistisches und geistiges Zentrum auf, zieht Gelehrte, Wissenschaftler und Künstler aus allen europäischen Ländern zusammen, z.B. den Astronomen Tycho Brahe. Forschungen in Botanik, Naturphilosophie oder zum Zusammenspiel von Mensch und Natur als Harmonia Mundi mit Johannes Kepler, zur Alchimie, Pharmakologie und Medizin mit anerkannten Wissenschaftlern der Zeit werden durchgeführt. Außerdem ist eine von Rudolfs ersten Amtshandlungen die Anstellung eines Tanz- und Musikmeisters. Die Mehrstimmigkeit im Lied erlebt eine Blüte am Hof. Das Vergnügen kommt nicht zu kurz.
Am bedeutendsten ist Rudolf aber als Kunstsammler. Sein Raritätenkabinett ist legendär (Wien,) seine Gemäldesammlung ungeheuerlich. Er kauft Spitzenwerke der italienischen Renaissance, Corregio, Tizian Veronese , der zeitgenössischen Niederländer und Deutschen , Breughel, Dürer, erlesene Antiken und Uhren, Instrumente, Gefäße , Edelmetalle und Edelsteine für die Kunstkammer. Und er beschäftigt Hofkünstler, die auf der Burg wohnen und die er besucht, ein freundschaftliches Verhältnis mit ihnen pflegt, sie anspornt, Ihnen Aufträge erteilt. Hier stellt er sich in die historische Tradition: Alexander d. Gr. Soll täglich Apelles besucht haben, um ihn arbeiten zu sehen, schreibt Plinius. Seinen Hofmalern bringt Rudolf große Anerkennung entgegen, geizt nicht mit Adelsbriefen und Schenkungen. Giovanni Bologna, Giuseppe Archimboldo, Bartholomäus Spranger, Hans von Aachen, Adrian de Vries sind die herausragenden Namen der Zeit in Prag. Rudolf schafft sich damit eine mikrokosmische Zusammenfassung seiner idealisierten Welt, in die er das Kaisertum eingebettet sieht, und Karel van Mander, der niederländische Künster-Chronist schreibt im Überschwang: „ Aber wer Neues verlangt, der braucht nur, so es ihm gelegen kömmt, nach Prag zu gehen, zu dem gegenwärtig größten Verehrer der Malkunst der Welt, zu dem römischen Kaiser Rudolf II und in seine kaiserliche Wohnung“. Zur Verbreitung seines Ruhms trug auch die Druckgraphik bei, die nach Entwürfen der Hofmaler von Stechern wie Hendrik Goltzius in Europa verbreitet wurden. Durch diese Verbreitung übte die Prager Hofkunst über Jahrzehnte einen sehr großen Einfluß aus auf das Kunstschaffen in Mittel- und Nordeuropa über das 17. Jh. hinaus.
Nicht von ungefähr nahmen die Schweden kurz vor Friedensschluß nach dem 30jährigen Krieg die Kleinseite ein und plünderten schnell noch den Hradschin.
Rudolfs Kritiker meinten allerdings, er vernachlässige die Staatsgeschäfte über der Kunst – ohne zu wissen, daß ihn die Kunst vor der völligen Verzweiflung seiner schweren Depression zumindest zeitweilig rettete. Viele politische Scharmützel, Türkenkriege und Herrschaftsansprüche seines Bruders Matthias zermürben Rudolf, der 1612 in der Prager Burg stirbt.
Der Weg für Matthias ist frei, endet aber schon 1618 mit dem 2. Prager Fenstersturz – der 30jährige Krieg beginnt.
Und es endet die unrühmliche 13-Monatige Interims-Königsherrschaft des unglücklichen Friedrich von der Pfalz, der von den Kurfürsten als „Winterkönig“ 1619-20 verlacht wird, weil er 1620 schon nach der verlorenen ersten großen Schlacht des 30jährigen Krieges am Weißen Berg (Folie) vor der katholischen Liga aus Böhmen fliehen muß.
Die dunkle Zeit des 30jährigen Krieges verwüstet das protestantische Böhmen – die Adligen werden vertrieben, ihre Güter mit deutschen Katholiken besetzt, es gibt eine streng absolutistische Verwaltung des neuen Habsburger Kaisers und böhmischen König Ferdinand II. Nach seinem Tod 1637 tobt der Europäische Krieg noch 10 Jahre weiter. Die Pest rafft die ohnehin schon dezimierte Bevölkerung dahin.
Nach dem Friedensschluß in Münster-Osnabrück 1648 greift in Böhmen die Gegenreformation aufs Heftigste. KarlVI, Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II regieren absolutistisch mit Unerbittlichkeit. Das manifestiert sich in hektischer Baukunst im neuen barocken Stil (siehe gestriger Vortrag), aber auch Monumental-Plastik und Skulptur sind für die öffentliche Re-Katholisierung immens wichtig, in viel größerem Ausmaß als die Malerei. Die Künstler werden, wie zu erwarten, aus den kern-katholischen Bereichen des Reichs verpflichtet, vor allem aus München und Wien. Die Gegenreformation wird quasi mit den Mitteln der neuen Kunstsprache Barock erzwungen. Eine Gehirnwäsche-artige Methode, die wir ja aus dem 1000jährigen Reich noch in bitterster Erinnerung haben. Nichts ist neu auf unserem Planeten.
Bemerkenswert ist die Verbreitung von Madonnen- und Dreifaltigkeitssäulen, die durchaus als eine Art Siegesmal für die restituierte Religion aufgefaßt werden können. Auch triumphierende Brunnenanlagen dominieren auf den Plätzen, die Karlsbrücke wird mit Heiligenstatuen bevölkert (Braun, Rauchmüller, Brokoff u.a.). In den neu erbauten Kirchen sind neben Marien-Apotheosen auch Altargemälde gefragt. Das Wenzelsdenkmal wird auf dem zentralen Roßmarkt errichtet.
Alles das wird Wolfgang Amadeus Mozart gekannt und vielleicht bewundert haben, als er 1786 erstmals nach Prag kommt, um im 3 Jahre zuvor neu eröffneten deutschsprachigen Ständetheater seinen Figaro aufführt. Hier löst er begeisterte Zustimmung für sein systemkritisches Werk aus, die ihm im reaktionären Wien versagt geblieben war. Es kommen dann ja noch die Uraufführungen der Prager Sinfonie, des Don Giovanni und des Titus; mit diesen Werken wird Prag immer untrennbar verbunden bleiben.
Sicher auch mit Casanova, nicht nur schlüpfriger Geschichtenerzähler, sondern auch sozialkritischer Geist seiner Zeit, der auf Schloß Dux in Böhmen seinen Lebensabend mit dem Schreiben der Memoiren verbrachte, die allerdings erst im 19. Jh publiziert wurden.
An der gesamten Kunstpolitik des „absolutistischen Religionsstaates“ der200 Jahre, bis tief ins 19. Jh. hinein dauert und Ausläufer bis zum 1. Weltkrieg hat, wird deutlich, daß die Kunst in Böhmen für Kirchen, Klöster, Herrenhäuser und den öffentlichen Raum geschaffen wurde, um ein gesellschaftliches und konfessionelles Umdenken der Bevölkerung herbei zu führen. In einer Zeit, da in den demokratischen Niederlanden Meinungs- und „Geschmacksfreiheit“ in Sachen Kunst herrschte und jeder kleine Kaufmannshaushalt Bilder zum Schmuck der Wände besaß, deren Botschaften der oft symbolisch und mythologisch aufgeladenen Inhalte er verstand und genoß, scheint in Böhmen das Volk selbst gar nicht zum Zuge zu kommen – vielleicht gab es auch nicht die Nachfrage oder die Kaufkraft für künstlerische Ausstattung der Wohnungen oder für musikalische Darbietungen mit Substanz. Das wäre noch eine Untersuchung wert. (Folien)Die Volkskunst sieht ganz anders aus und erinnert an die Ausdrucksformen der süddeutschen Devotionalien-Malerei.
Fest steht aber, daß nach der napoleonischen Zeiten im neu geschaffenen Doppel-Kaierreich Österreich-Ungarn der nationale Unmut überall in den Ländern der Krone, auch in Böhmen brodelt und sich immer wieder in vergeblichen Aufständen gegen die harte Hand der Habsburger Luft macht. Man besinnt sich auf seine nationale Identität. So z.B. auch beim Prager Pfingstaufstand 1848, (Folie) als in ganz Europa die Zeichen auf Revolution stehen. Neue historisierende Denkmal werden geschaffen, die an Böhmens große Kultur anknüpfen. Der Stärkung von nationaler Einheit widmen auch Smetana und Dvorak ihre Musik, der Volkston wird wichtig, Kommunismus und Demokratie werfen ihre Schatten voraus.
Der national am wirkungsvollsten arbeitende Bildende Künstler der Zeit ist Alfons Mucha (1860-1939).(Folie) Seine Stärke ist der große Wurf, das Monumentale. Er studiert in München, geht natürlich nach Paris, die Weltausstellung von 1889 zieht ihn an. Zeitweilig teilt er ein Atelier mit Gauguin. Den Durchbruch erreicht er als Einspringer für einen erkrankten Plakat-Designer: Sein Plakat von Sarah Bernard macht Furore, wird von Kunstsammlern überall abgenommen. So wird er in Paris der Jugendstil-Plakatmaler. In den USA wird er gefeiert, Als gefragter Designer kehrt er nach Tschechien zurück, gestaltet die neuen tschechischen Geldscheine und Briefmarken, die ersten überhaut, die die Prager Burg zeigen. Er malt zwischen 1911 – 1920 das große Slawische Epos, 20 Leinwandbilder in Riesenformaten bis zu 6x8 m. Die Idee zur Darstellung von Freude und Schmerz seines Volks und aller Slawen kam Mucha bereits während der Arbeit an der Ausgestaltung des Pavillons von Bosnien-Herzegowina zur Weltausstellung in Paris 1900. Erst kurz vor Ende des 1. Weltkriegs 1918 wird Tschechien ein souveräner Staat, da schwimmt Mucha genau auf der richtigen Welle mit seiner Kunst, die man als Historienmalerei bezeichnen muß. Allerdings ist die akademische Malweise der Münchner Schule nicht mehr ausschließlich interessant für ihn: Alles findet sich an Farbe und Form in seinem opus magnum, zwischen Realismus, Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil und Abstraktion,; Mittelalter und Barock scheinen wieder aufzuleben, und auch die naive böhmisch-mährische Volkskunst wird nicht vergessen.
Mit den Gemälden wollte Mucha die Liebe zu seinem Volk, verbunden mit einer Vision der Menschheit, bekunden.[7] Der Künstler selbst sagt über die ihm zugrundeliegenden philosophischen Absichten: „Der Zweck meines Werkes bestand […] im Aufbauen, im Brückenschlagen, denn uns alle muss die Hoffnung nähren, daß die gesamte Menschheit sich näher kommt, und zwar um so leichter, wenn sie sich gegenseitig kennenlernt.“[8]. Nationale Epen gibt es bei fast jedem Volk, die Gattung unterstreicht die „erzählerischen und episodischen Elemente“ einer Kultur, „alle Epen haben jedoch bei aller Vielfalt ein ganz bestimmtes, gemeinsames inneres Modell […]: das Vertrauen in den geistigen und humanen Fortschritt der Menschheit“[9]. Der Zyklus steht offensichtlich dem panslawischen Ansatz nahe, welcher eine kulturelle, geschichtliche und ideelle Verbundenheit in der slawischen Welt erreichen wollte, faktisch jedoch Utopie blieb.[10]
Bis 1939 lebte er mit seiner Familie finanziell unabhängig in Prag. Als einer der ersten wurde er beim Einmarsch der Deutschen interniert und starb noch im gleichen Jahr an einer Lungenentzündung.
Obwohl er mit den Malern der Moderne zusammen traf und mit Frantisek Kupka an der Weltausstellungshalle zusammen arbeitete, scheinen ihn die aktuellen Strömungen der europäischen Kunst Expressionismus, Kubismus, Konstruktivismus u.a. nicht berührt zu haben. (Folie)
Frantisek Kupka jedoch hat alles ausprobiert, arbeitet mit Marcel Duchamp in nächtelangen Dikussionen zusammen, mit Modigliani, Gleizes oder Metzinger, Delaunay, alle auf dem Weg in die Abstraktion.
Interessant ist, daß Kupka in vielen Stilen Großes leistet, immer auf der Suche nach Licht, Form , Bewegung und innerer Ordnung einer Thematik.
Schon 1911 hat er, wie Kandinsky, erste gegenstandsfreie Bilder gemalt – ganz unbeachtet.
"Kunst zeichnet sich dadurch aus, daß sie einen eigenen Organismus aufbaut,. ein Kunstwerk verfügt über seine spezielle organische Struktur, die sich von der Natur völlig unterscheidet."
Wenn das nicht eine Definition der Abstraktion ist!
Nach Kriegsdienst im 1. Weltkrieg und Ehrenlegion kehrt er als Professor an die Prager Universität zurück, ist Mitglied der Gruppe Abstraction-Creation, stellt 1955 bei der 1. Documenta in Kassel aus. Übergeordnete Wertschätzung bleibt jedoch aus ,und Kupka stirbt verkannt und verbittert in Frankreich. Da kommt der dramatische Mainstream eines Mucha wesentlich besser an.
Wenzel Hablik (1881-1934) möchte ich Ihnen noch vorstellen, der neben der Architektur und Malerei auch die kunsthandwerkliche Tradition des Heimatlandes aufnimmt. Er studiert in Prag und Wien, gelangt in die progressive Berliner Sezession und läßt sich der Liebe wegen in Itzehoe nieder. Sein Haus dort, heute Museum, ist ein ganzheitliches Kunstwerk für Leben und Arbeiten. Es entstehen auch viele Vorlagen für die Handweberei seiner Frau.
Mit tschechischer Art hat sich Hablik kaum auseinander gesetzt, wohl zeigt er in seinen Karrikaturen einen Schwejkschen Charme.
Oder Emil Orlik (1870-1932) aus Prag, der in Berlin als Professor von Hannah Höch oder George Grosz bekannt wurde. Vor allem wurden seine Porträts geschätzt, er war ein hervorragender Grafiker.
Die zeitgenössische tschechische Kunstszene kann im internationalen Vergleich standhalten – in Zeiten der Globalisierung und der Studien-Austauschprogramme wären formale Nationalismen nicht mehr vermittelbar. Inhaltlich beschäftigen sich allerdings die Künstler und Künstlerinnen mit Ihrem Land durchaus. Einige wenige habe ich für Sie ausgesucht, eine völlig subjektive Auswahl, die Ihnen einen kleinen Überblick über die Szene verschaffen soll.
Bekannt sein dürfte Ihnen der Bildhauer Jan Koblasa, in Prag geboren, ausgebildet und nach Beendigung des Prager Frühlings in Italien und später dann in Hamburg ansässig, in Norddeutschland gibt es auch eine große Werkvielfalt.
Alena Kotzmanova macht Kunst als Werbefotografie an Straßenbahnhaltestellen mit pfiffigen Details,
Malerin Ladislava Gaziana ist hier mit einer Serigrafie vertreten, Sie beleuchtet viel das Problem von Minderheiten im Land.
David Cerny ist mein absoluter Favorit. Er mischt mit seinen Skulpturen den Stadtraum von Prag auf, sie sind kluge und humorvolle Kommentare auf gesellschaftliche Verhältnisse.
Vladimir Havlik geb. 1959, Teilnehmer der Documenta 13, ist ein Performer, der irritiert und zum Weiterdenken auffordert.
Seine Aktion mit der Devotionalien-Kerze in Form einer Madonna auf dem Sockel der amerikanischen Freiheitsstatue (einst von Frankreich geschenkt) soll am Schluß meiner Ausführungen stehen. Sie ist gewissermaßen ein Appell an uns alle, das Licht der Freiheit nie verlöschen zu lassen, das Licht der Freiheit des Denkens und der Selbstbestimmung, die auch zwingend das Licht der Kunst ist.
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