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Bericht vom 10.08.2016

Hitzacker Musiktage-Buch

Freitag, 5. August 2016

© Jutta de Vries

Hitzacker Musiktage-Buch
Freitag, 5. August 2016


Keine Müdigkeit vorschützen!
Schließlich sollen alle, die sich neben den Hauptkonzerten in der Festival-Musikluft betätigt haben, angemessen mit Aufmerksamkeit bedacht werden – das sind die  sympatischen Festival-Akademiker und Akademikerinnen, die wirklich Erstaunliches auf ihren Instrumenten leisten und vor allem im Format „7nach7“  unterm Baldachin auftreten, das sind aber auch die Chorsänger/Innen, die jeden Morgen schon um halb 10 geprobt haben, um uns heute ihr traditionelles Arbeitsergebnis vorzustellen.


Wie gut, daß wir das nicht verpaßt haben!  Alexander Lüken heißt der junge  zugewandte Chordirigent dieses Jahres, und er hat ein popuär-klassisches Programm vorbereitet, das erstaunlich gut nach 5 Probenstuden aus den gut 80 Kehlen klingt. Zusätzlich hat er mit einem  kleinen Consort Renaissance-Madrigale einstudiert, die prima auflockern. Und  er  fährt Oliver Willes Prinzip: Mitmachen! Kurzerhand werden Notenblätter verteilt, und bei der gewieften Musiktage-Zuhörerschaft klappen Mendelssohn und Claudius vierstimmig wie vorher geprobt. Das hat Spaß gemacht! In einem Chor, den Herr Lüken nach seinem Studium einmal führen wird, würde ich mich auch wohl fühlen.


Vor den großen Streichquartett-Marathon am Abend haben die Götter den Schweiß der Hörerakademie gesetzt: Oliver Wille und das Quartett Berlin Tokyo analysieren Beethovens Große Fuge op. 133, die mit dem Streichquartett op 130, für das sie ursprünglich geschrieben war, ein Höhepunkt des Abends wird. Wegen der Länge der Fuge, die allein wie ein mehrsätziges Werk scheint,  hatte Beethoven einen neuen Schlußsatz komponiert  und der Fuge ein Alleinstellungsmerkmal gegeben. Bei allen, die sich mit diesem Jahrhundertwerk beschäftigen, bleibt eigentlich neben der Bewunderung immer ein Gefühl des Unerreichbaren, den Musikern tritt der Schweiß auf die Stirn, auch wegen der immensen technischen Schwierigkeit.


Oliver Wille und die jungen Streicher, die gerade bei ihm an der Hochschule Hannover die Zusatzausbildung Streichquartettspiel abgeschlossen haben, präsentieren uns in dieser Akademie ein leuchtendes Beispiel dessen, wie grandios und gekonnt, kurzweilig, prägnant und effektiv Unterricht sein kann – unterstützt vom super durchhörbaren Spiel des bestens vorbereiteten Quartetts.


Viele Seiten des Oliver Wille haben wir in diesen Tagen schon kennen gelernt – die des noch etwas vorsichtigen Intendanten, des begeisterungsfähigen, ideensprühenden und risikofreudigen „Machers“, die des kommunikativen Quartettpartners, des inspirierten Solisten, Interviewpartners und nun auch noch  die des Wissenschaftlers mit dem pädagogischen Blick auf ein Laienpublikum.  Das Bild rundet sich, und wo man in das Festival-Gemurmel hineinhört, erklingt freudige Zustimmung und auch neugierige Erwartung: man ahnt es schon, das Kaleidoskop der Überraschungen in diesem 71. Jahr ist noch lange nicht ausgeschüttelt.


Zum Beispiel dieser Abend.
Drei junge Quartette – nicht ganz im Vergleich, denn sie spielen jeweils ein anderes, ganz persönliches „Lieblingswerk“,  dazu hatte Wille sie eingeladen. Und daran kann man schon die Qualitäten messen.  Und auch den unbedingten Durchhaltewillen des Quartettsüchtigen Publikums, das 5 Stunden lang bis in die Nacht hinein den Marathon der jungen Quartette begleitet.
Das sind allen voran das Quartett Berlin Tokyo aus Hannover mit dem großen Beethoven, das britische Castalian String Quartett, das ebenfalls bei Oliver Wille in Hannover studiert hatte und hier einen brennenden Bartók präsentiert, und das Quatuor Van Kuijk aus Paris mit duftigem Debussy im Pariser Flair. Dazu steht noch das gemeinschaftliche Musizieren in verschiedenen Formationen auf dem Programm, das Streichsextett von Brahms, natürlich das Oktett von Mendelssohn.  Jedes Quartett hat schon  ein bißchen seinen individuellen Klang,  es macht Spaß, so gut ausgebildeten jungen Musikern zu folgen. Und sich zu freuen, daß es so viele gute Talente gibt, die an unseren Hochschulen von großartigen Lehrern geprägt werden und zu musikalisch schlüssigen und emotionalen  Ergebnissen kommen wie an diesem – zugegeben - ausufernden Abend. 


Ach ja, und im Mittelpunkt vor der Pause  dürfen sich alle 12 Spieler plus Eszter Kruchio  von der Festival Akademie als 13. Streicherin, am „Rituel Bizarre for prepared string orchestra“ abarbeiten. Der junge Komponist Ansgar Beste (*1981)  stellt sich in seinem Werk , an dem er von 2008 bis 2014  immer mal wieder gearbeitet hat, zwei gegenläufige Strukturblöcke vor, die allmählich am Schluß ineinandergeflossen sind. Wenn man es weiß. sucht man es nach zu hören. Klanglich ist das Ganze eher spröde, Stäbe unter den Saiten und Kämme als Bögen  erinnern an Insektenschwärme. Rhythmisch ist das Stück ziemlich vertrackt. Chapeau für das  Zufalls-Ensemble! Der Abend findet übrigens in der Reihe der NDR-Foyerkonzerte statt, in den Pausen führen Moderator  Ludwig Hartmann und Oliver Wille ein lockeres Gespräch über den bedingungslosen Enthusiasmus eines  Streichquartetts: „Wenn draußen die Welt untergeht, streiten wir uns stundenlang über Auf-oder Abstrich: das ist absurd – aber gut so“...


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