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Bericht vom 13.09.2014

Pleasureground - da gehen wir hin!

Christian Goldberg mit Zeichnung und neuer Lithografie

© Jutta de Vries

Pleasureground – da gehen wir hin!


Einführung in die Ausstellung mit Arbeiten von Christian Goldberg
am Donnerstag, 11. September 2014, 19 Uhr
Pleasureground-Galerie im Jenischpark
©Jutta de Vries


Meine sehr geehrten Herren und Damen,


wie schön, dass Sie der Einladung in den Pleasureground heute gefolgt sind, und ich möchte Sie nun gern in den vergnüglichen Park der Arbeiten des Künstlers Christian Goldberg entführen.


Wer ist Christian Goldberg?
 
Als  Kind schon im pommerschen Stolp  und in Danzig hat er gezeichnet und aquarelliert, mit dem Architekten-Vater als leuchtendes Vorbild, der kaum jemals ohne Malutensilien  anzutreffen war. Nach dem Krieg folgen Buchhändlerausbildung und Verlagstätigkeiten bei Suhrkamp und dem Insel Verlag in Frankfurt.
„Ich brauche das Buch zum Leben“ sagt Christian Goldberg inmitten seiner umfassenden Bibliothek, und so ist es gegeben, dass sich das täglich Gelesene in seinen künstlerischen Arbeiten  - poetisch transformiert -  wieder findet. Dostojekwski und seine Zeit gelten für ihn schon lange als einer der literarischen Schwerpunkte, und aktuell ist es Kafkas „Brief an den Vater“, der  das bildkünstlerische Denken aktiviert.
In der Frankfurter Zeit als Pressearchiv-Leiter beim Hessischen Rundfunk engagiert sich Christian Goldberg in der Marielies-Hess-Stiftung für junge Kunst,  kuratiert Ausstellungen und sitzt in der Jury. Darüber hinaus wächst das kunstgeschichtliche Repertoire, Christian Goldberg wird zum kenntnisreichen Sammler der klassischen Moderne.
 
Nach Abschluß des Berufslebens Anfang der  1990er Jahre zieht Christian Goldberg in den Norden und lebt jetzt in Hamburg. Er macht die Bildende Kunst für sich zum Hauptberuf. Und so kommt es, dass wir bei der Betrachtung des Bildkünstlers Christian Goldberg vom „Spätwerk“ sprechen sollten – „Spätwerk ohne Frühwerk“ – eine wunderbare Formulierung, die  Michael Järnicke zu danken ist. Trotz der künstlerischen Reife erster Arbeiten vertieft Christian Goldberg sein Können in Ausbildungsseminaren zu Zeichnen und freier Malerei, zu nennen sind hier vor allen Klaus Schneider und Norbert Schwontkowski. Einen Schwerpunkt bildet die Arbeit mit den unterschiedlichen druckgrafischen Techniken, und hier erregt besonders  in den letzten Jahren die Lithografie das Interesse des Künstlers. Es ist auch der anregende Künstler-Dialog und die kreative Atmosphäre, die Christian Goldberg begeistern und beflügeln. Regelmäßig gibt es Arbeitswochen mit  Linda Schwarz in Homburg und Tom Blaess in Bern – ein großer Teil der heute hier gezeigten Werke sind erst in diesem Jahr und in den letzten Wochen  unter diesem Eindruck entstanden. Der amerikanische Künstler Tom Blaess  hat übrigens ein Verfahren entwickelt, dass die schwere Muskelarbeit des Steindrucks bei gleicher Qualität mit den Mitteln heutiger Vervielfältigungsmöglichkeiten frappant vereinfacht, er nennt das Verfahren „Papierlithografie“. Hierbei wird der unhandliche Stein durch ein Papier ersetzt, das wie der Stein mit einer Gummiarabicum-Lösung präpariert ist. Mit einem Drucker auf fetthaltiger Toner-Basis wird das vorher gezeichnete Blatt auf das Lithopapier gedruckt. Die Tonerspuren nehmen danach die fetthaltige Druckfarbe auf, die mit einer Rolle auf das wasserbenetzte Lithopapier aufgetragen wird. Die präparierten Stellen stoßen die Farbe ab, so daß nur die Zeichnung entsteht, die dann mit einer Druckerpresse auf Künstlerpapier gedruckt werden kann.


Wer das Buch so liebt wie Christian Goldberg, der möchte auch gern schöne Bücher machen – die Edition Goldberg wird in den neunziger Jahren gegründet. Inzwischen sind u.a. zwei wunderbare bibliophile Kostbarkeiten, zwei Katalogbücher und eine Kunst-Zeitung mit den Arbeiten des Künstlers entstanden, 2013 als jüngstes „grafisch zur Seite sein“ anläßlich der Ausstellung in Schloß Agathenburg.
In der Tat „sind“ die bildnerischen Arbeiten den literarischen Gedanken des Künstlers, immer der Sprache„zur Seite“, auch den Gedichten im Band  des Literatur-Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer. Sie sind poetische Kommentare, nicht Illustrationen, sondern „Illuminationen“ im Sinne von Georges Braque. Und den „Imitationen“ von Hans Magnus Enzensberger gibt Christian Goldberg seine ebenso hintersinnigen „Irritationen“ bei. 


Christian Goldberg ist ein Künstler der heiteren oft augenzwinkernden Stille, die erfahren werden will. 
Seine Werke, so kleinformatig sie auch sein mögen, fordern groß heraus zum  intensiven, dialogischen Betrachten. 
Diese Blätter hier in den intimen Räumen erwarten etwas von Ihnen, sie fordern Ihre ganz persönliche Lust am Schauen  heraus, Ihre Lust am Entschlüsseln von Zeichen, Ihren Spaß am Deuten geschmunzelter Botschaften – aber nur, wenn Sie das denn überhaupt wollen. Denn die Arbeiten des Künstlers bewegen sich stilistisch am Rand der Gegenständlichkeit und können auch einfach als formal und farbig angelegte Kompositionen der Abstraktion erfahren werden und nur Ihre Freude am Rhythmus, dem kontrastreichen Spiel der Farbwerte und formalen Bewegungsgespinste hervorrufen;  Sie werden auch heraus finden, dass mit den sparsamsten  grafischen Mitteln, Punkt, Strich, Linie bis zur Fläche hin größtmögliche künstlerische Aussagen das Blatt so komplettieren, dass nicht ein Strich fehlt, nicht ein Punkt überflüssig ist. Die sehr zügige Arbeitsweise sieht man dem Duktus stets an,  Bewegung entsteht, die das Auge führt. Trotz aller Offenheit der vieldeutigen Bildaussage sorgt eine heimliche strukturelle Balance  des Bildaufbaus immer für die harmonisch geschlossene Ganzheit, zu der auch die poetischen Titel beitragen.


Christian Goldberg ist zu allererst Zeichner. 
Ihn beschäftigt die Linie, die, wie wir alle wissen, unendlich ist und sich aus Abermillionen Punkten geriert. Das Problem ist nur, es gibt sie gar nicht in der Realität, sie ist ein mathematisches Konstrukt. Zeichnerisch kann man mit der Linie Kanten von Gegenständen flächig umreißen, die dadurch als Zeichen sichtbar und kommunizierbar werden. Diese Surrealität der Linie macht sich  Christian Goldberg zunutze, da steht er in der Tradition der von ihm verehrten Ikonen der klassischen Moderne Paul Klee, Max Ernst, oder Joan Miro (um nur einige zu nennen). Aber Linie ist immer - etwa bei den lyrischen Expressionisten wie Wols und Alechinsky; auch de Kooninck oder Pollock sind unter den Vätern zu nennen, und in unmittelbarer Hamburger Nachbarschaft war ja auch Horst Janssen in die Linie verliebt.


Christian Goldberg ist auch ein Meister der Druckgrafik.
Von der Hochdrucktechnik als Linolschnitt über die Tiefdrucktechnik als Radierung bis zum Flachdruck der schon erwähnten Lithografie finden wir hier in der Ausstellung  Beispiele.
Die Urform der Druckgrafik, die Monotypie mit ihrem zufallsbetonten, überraschenden Möglichkeiten der Aleatorik, ist ein herausragendes Gestaltungsmittel, das sich immer wieder in Christian Goldbergs  Werk findet, mal souverän solo, mal in farbiger Doppelung, mal als Mischtechnik in Verbindung mit Farb- oder Tusche-Zeichnung  mit Feder, Aquarell, Collage, als Prägedruck oder Lithografie – den  Komposit-Interaktionen sind einfach keine Grenzen gesetzt, denn:


Christian Goldberg ist auch ein Homo ludens,
ein Spieler im  besten Sinne des Wortes,  wie ihn Johan Huizinga sieht und Schiller ihn schon in seinem Werk „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ umreißt: „der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“.
Christian Goldberg braucht die Konzentration des ungestörten Raums für sein künstlerisches „Spiel“.  In voller Selbstvergessenheit ist das bildnerische Tun eine ganz eigene Erfahrung und innovative Aneignung von Welt, die Begeisterung einer Schöpferkraft, die über Zufälle und Möglichkeiten dem Werk  seinen Sinn gibt: was entsteht bei einer Farbschüttung? Bleibt sie rein? Fordert sie eine Kompilation mit der Tuschelinie, mit dem Aquarell? Will sie zeichnerisch bearbeitet und dann gedruckt werden? Welche Inhaltlichkeit ist zu entdecken? Das Potenzial ist beinahe unerschöpflich.
Unter diesem Aspekt ist die Lithografie ein dankbarer Partner. Unmittelbarer als bei anderen Drucktechniken läßt sich hier der Duktus leicht schwingen, mit der Zeichnung und mit der Farbe jonglieren; es können minimalistische Reihen und Räume auf dem präparierten Papier aufgebaut und vielfach gerichtet und geschichtet werden, um oft auch nach dem Druck noch eine zeichnerische oder malerische Fortschreibung zu erfahren, um nach weiteren Bearbeitungen immer wieder neu gedruckt zu werden.


Die jüngsten Werke, und damit komme ich auch zum Schluß, sind erst in den letzten Wochen in der geliebten Homburger Workshop-Klausur entstanden, in der Nachbarschaft zu jungen Fotografen und Musikern, die Christian Goldberg sehr inspiriert haben. Es handelt sich um eine Reihe von zehn strukturbetonten „Lieblingswerken“: Der Künstler „liebt“ das kleine quadatische Format, er „liebt“ die Arbeit an der Verwandlung eines einzigen Gedankens, er „liebt“ die nuancenreiche Farbe mit den unzähligen Helligkeitswerten, jenes neutrale Grau, das alle Substanzfarben birgt und daher, bei strenger Zurückhaltung,  so sehr in sich leuchtend ist.
 „mitgrau“ – nur so sind Christian Goldberg und sein Werk zu sehen.
Und vielleicht mit den von WOLS geforderten „geschlossenen Augen“.
Da ist dann auch der „Kleine Prinz“ nicht weit.


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