Bericht vom 25.03.2014
Joh. Seb. Bach, Matthäus-Passion BWV 244
Stadtkantorei in St. Wilhadi am 23. März 2014
© Jutta de Vries
Joh. Seb. Bach, Matthäus-Passion BWV 244
Stadtkantorei in St. Wilhadi am 23. März 2014
Die Passionszeit steht für die Stade Stadtkantorei immer fest im Zeichen der Trauermusiken, der Berichte über „das Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus“.
Eine Vielzahl von Komponisten hat sich über die Jahrhunderte hinweg mit diesem zentralen Thema der Christenheit auseinander gesetzt; die berührendsten Werke jedoch schuf Johann Sebastian Bach in seiner Zeit als Thomaskantor in Leipzig.
Die Stader Passions-Konzerte haben für viele Menschen in der Region einen ganz festen Platz im Jahres-Zyklus und gehören dazu.
Es ist auch wunderbar, vieles nach Jahren wieder zu erleben. So führt die Stadtkantorei Stade dieses Jahr zum wiederholten Mal Bachs „Opus Summum“: größtes, großformatigstes, kunstvollstes, beeindruckendstes und einzigartiges Chorwerk auf: die Matthäus-Passion.
Von der dramaturgischen Anlage des Werks her gesehen ist eine hohe geistige Einheit erreicht, angefangen vom Passionsbericht des Matthäus, in Verbindung mit den regelmäßig eingefügten Choralstrophen und den kommentierenden freien Texten in Form von Rezitativ und Aria, die das Geschehen sowohl als Gemeinde als auch einzelner Christ reflektieren. Dazu kommen die dramatischen Chorblitze, die aus dem unmittelbaren Erleben entstehen.
Allein schon die Texte zu lesen von Picander, dem sonst eher mittelmäßigen Hauspoeten, ist wie eine Meditation.
Es wird vermutet, dass Bach dieses Werkgerüst selbst entworfen hat, und seine Komposition wie aus einem Guß, entspricht diesem tiefen universalen Ineinander in außerordentlicher Differenziertheit, deren Erkennen und Duchdringen stets eine große Herausforderung für die Musizierenden ist, zumal die Besetzung auch für damalige Verhältnisse monumental ist: Doppelchörigkeit und doppeltes Orchester wird vorgeschrieben, eigentlich auch zwei Orgeln und zwei Continuo-Gruppen – das war sinnfällig räumlich getrennt nach italienischem Vorbild in der Thomaskirche machbar. Es gibt, wie auch in Stade, die Fassung für eine Orgel-Continuo-Gruppe, die hat dann viel zu tun.
Die Stader Aufführung war ein einziges Fest - Kirchenmusikdirektor Hauke Ramm dirigierte das Barockorchester Hamburg unter der Primaria Gesine Hildebrandt flüssig und in lebendigen Tempi, das tat dem epischen Werk gut und machte es mit dreieinhalb Stunden „sitzfähig“. Die üppige Solobesetzung mit Traversflöten, Blockflöten, Oboen - auch als d’amore und da caccia - und Viola da Gamba gab mit ihren spezifischen Klangfarben den Arien das besonders expressive Gewicht, und wie stets kompromisslos musikalisch führte Martin Böcker an der Orgel die stützende Continuo-Gruppe.
Auch an Solisten spart Bach nicht: für das in der Geschichte vorkommende Personal und die Arien für den üblichen Stimmkanon, dazu Jesus und Evangelist, waren insgesamt 13 Sänger vorgesehen. Heute faßt man vieles den einzelnen Stimmen entsprechend zusammen, so dass mit einem Solistenquartett und der Jesus-Figur fünf Solisten vor dem Orchester stehen.
In Stade wird der Evangelist Matthäus, der objektiv berichtet , von Georg Poplutz mit sehr beweglichem, beinahe britisch anmutenden Tenor lebendig und spannungsreich ausgefüllt, für die Arien hätte ich mir mehr Substanz gewünscht. Jens Hamann, zum zweiten Mal in Stade, sang den Christus. Sein schönes BassBariton-Material führte er mit körperlich sichtbarer Kraft, Emphase und verschenkter Aura – ziemlich entfernt von der Vorstellung des Matthäus-Evangeliums vom „Lamm Gottes“ – die wohl auch diejenige Bachs war - , jene Vorstellung eines sanften, hoheitsvollen, schon gleich von Anfang an beinahe entrückten Dulder in noli-me-tangere-Profil. Heidrun Luchterhandt (Sopran) und Nicole Pieper (Alt) füllten ihre Partien makellos und mit schwebender Linienführung, ihre Stimmen passen im Duett harmonisch perfekt. Auch der leichte hohe Baß Dávid Csismár gefällt mit stimmlicher Beweglichkeit, die der barocken Musik gut tut. Besonders dramatisch wirkt in seiner Interpretation, was das Leipziger Konsistorium auf keinen fall wollte: opernhafte Züge in den Passionen: Seine Stichworte als Judas, Petrus und Pilatus färbt er stimmlich so unterschiedlich, dass eine besondere dramatische Qualität entsteht.
Die vermag auch der große Doppelchor der Stadtkantorei hervor zu rufen: die vielstimmigen Einwürfe der kochenden Volksseele gelingen sehr, die Choräle sind im Fluß, aber auch die großen Chöre beeindrucken mit Fülle und gutem Stimmklang . Nur der motivierte Jugendchor wäre in der oberen Reihe, „oben drüber“, besser mit ihren Engels-Chorälen rüber gekommen. Wie schön, dass die Chorarbeit in Stade so einen Auftritt möglich macht, das könnte doch auch in Szene gesetzt werden, ganz abgesehen vom musikalischen Effekt.
Hauke Ramms Konzept sieht für Chor und Orchester einen erzählerischen, fließenden Duktus vor, das musikalische Gebäude als Ganzes wird intensiv verklammert, die Interpretation verströmt weniger das Leiden und Mit-Leiden in leisen Tönen, als die stabile und auch klanglich eher kraftvolle Hoffnung und Zuversicht auf Erlösung. Das ist eine geerdete, positive Auffassung, die ein sehr dankbares Publikum mit in die Sonntag Nacht und die Passionszeit nahm.
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