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Bericht vom 03.04.2006

Barbara Lorenz Höfer ...Als gehe es immer um Alles...

Große Einzelausstellung im Kunstverein Ebersberg/München Einführungstext

© Jutta de Vries

Meine sehr geehrten Herren und Damen, ich freue mich sehr, Ihnen die Bildhauerin Barbara Lorenz Höfer heute vorstellen zu dürfen, deren strenge Arbeiten an diesem charismatischen, historischen Ort eine besondere Botschaft aussenden.

 

Die Künstlerin kommt aus dem hohen Norden Deutschlands, aus Buxtehude, - Sie wissen schon, dort, wo der Hund mit dem Schwanz bellt und Has und Igel sich gute Nacht sagen – ist aber gewissermaßen eine Wahl-Bayerin: nach dem Abitur absolvierte sie die Fachschule für Holzbildhauerei in Oberammergau und seither haben Bayern und das Wandern im Gebirge sie nicht mehr losgelassen. In den Ferienzeiten können Sie ihr und ihrer gesamten Familie auf den Gipfeln der Umgebung begegnen, wenn Sie Glück haben.

Sakrale und profane Schnitzarbeiten wie die liturgische Ausstattung von Kirchen oder großformatige, farbig gefasste Holz-Bücher gehören zu den beachteten Werken dieser einen Schaffenslinie, die bis heute nicht abgebrochen ist.

 

In einer zweiten Linie hat sich der Prozess einer Objektivierung von der kompakten, geschlossenen und gegenständlichen Holzskulptur zur komplexen, offenen Konstruktion und darüber hinaus zu Objekten aus Papier, Filz, Fell und Garn im Laufe weniger Jahre vollzogen.

 

Mit der Oberammergauer Holzschnitzkunst haben die Installationen der heutigen Ausstellung nämlich nicht viel gemeinsam - nur noch das Material ist das gleiche geblieben, nämlich das Holz für die Skelettbauweise und das Papier, das ja auch ein Produkt aus Holz ist.

Papier ist ja immer wieder neu erfunden worden, die Chinesen waren die ersten im vorchristlichen Jahrtausend, dann die Japaner, die Ägypter und spät im Mittelalter erst folgten die West-Europäer. Papier an sich ist ja auch ein weiter Begriff – hier geht es im wesentlichen um die sinnlichen, die haptischen Qualitäten, und Barbara Lorenz Höfer gibt durch das Papier Signale an die Betrachter: da ist vom zartesten, durchscheinenden Seidenpapier unterschiedlicher Farbgebung über schwere Himalaya-Papiere aus den duftenden Blättern des Maulbeerbaums bis zum Papier aus Elefantendung mit seiner energetischen Aufladung vieles zu finden.

 

Die Entfernung vom Oberammergau - Stil begann in den späten achtziger Jahren, als Barbara Lorenz Höfer von der Industrie-Architektur des Ruhrgebiets inspiriert wurde: Die Einladung zum Bau einer Installation im riesigen Generatorenhaus in der aufgelassenen König-Maximilians-Hütte in Hamm erforderte große Formen, die mit Schnitzen nicht zu bewältigen waren. Die tragenden Elemente der Halle aus offenen Eisenträger-Gerüsten standen Pate für eine multiple auch größenvariable Grundform aus Holz, die seither das Werk der Künstlerin bestimmt. Die Vieldeutigkeit vom Schiffsspanten über Weberschiffchen, Schmetterlingspuppe, Vulva und, und, und... lässt unendliche Variationen und mehrdeutige Ansätze zu.

 

Das zeigt diese Ausstellung deutlich, sie ist Thema mit Variationen.

Und immer geht es um Alles, um Alles, was das menschliche Sein ausmacht und was das Persönlichkeitsprofil der Bildhauerin Barbara Lorenz Höfer scharf umreißt: denn ihr großes Thema ist der Mensch, der Körper an sich als fragile, kostbare Hülle physischer und psychischer Darstellungsweisen. Und die religiöse Künstlerin fragt auch stets nach den genuinen Wurzeln und nach der Verantwortung, die der menschlichen Gesellschaft durch den biblischen Schöpfungsprozess aufgetragen worden ist. Die grundlegenden Ambivalenzen des Lebens, die Pole des Seins sucht die Künstlerin klärend zu fassen. Ihnen spürt sie in ihren Arbeiten symbolhaft nach, und das von einem emanzipatorischen Standpunkt aus. Vehement und rückhaltlos thematisiert sie künstlerische Prozesse mit Engagement und verstecktem Humor, böse, aber auch nicht ohne Hoffnung in Bezug auf die gesellschaftliche Rolle von Frau und Mann in unserer Zeit.

Das Konzept der Ausstellung bezieht sich unmittelbar auf die fünf Räume hier in der „Alten Brennerei“ des Kunstvereins Ebersberg. Die Installationen und Environments, Objektkästen und Grafiken schaffen Blickachsen und führen in immer neue Raumsituationen, in denen schonungslos die zunehmende Gefühlskälte unserer Gesellschaft kommentiert wird.

Aber bitte keine Depressionen: diese ist ja doch die beste aller Welten, die wir haben! Auch die Künstlerin liebt die Welt, den Menschen, das Leben über alles, und gerade deshalb nimmt sie nachhaltig aufrüttelnd und knallhart Stellung,...als gehe es immer um Alles... Allerdings greift sie zu einen wunderbaren Kunstgriff, damit wir nicht schaudernd wegsehen, wie es in unserer Gesellschaft so üblich ist. Nein: wir werden gefangen von berückender Schönheit des künstlerischen Ausdrucks, alle Sinne werden angesprochen. Wie ein brodelnder Vulkan in der Fülle seiner Naturkraft zugleich den Schrecken thematisiert, so zeigen sich die Arbeiten rein äußerlich in edler, harmonischer Komposition. Die ausgewogenen Farben und Proportionen, der Rhythmus der abstrahierten Formen und die handwerkliche Perfektion begleiten und betonen die gefassten Oberflächen in ihrer unterschiedlichen Disposition zum Licht und verstärken die haptischen Qualitäten der Materialien, so dass man sich einbetten möchte…oder doch lieber nicht? Die ernste, stille Schönheit lodert von innen heraus – aber im entscheidenden Augenblick zieht sie sich auf sich selbst zurück.

Im strengen Spiel mit den Ambivalenzen ist der künstlerische Kommentar rückhaltlos, ja gnadenlos offen und durchaus auch politisch zu sehen...hier geht es immer um Alles.

Wie zum Beispiel im ersten Kabinett. Mit der Installation heimatortlos wendet sich die Künstlerin mit der Frage Was ist Heimat? virtuellen Orten zu. Die Schwarzlichtinstallation im fensterlosen Raum definiert keinen verlässlichen Ort mehr. Häuser auf Stelzen, auf Rollen, mit Zugband wie ein Zigeuner-Planwagen-Kinderspielzeug, ein Kofferhaus auf der Asche der Erinnerung an den Menschen neben mir, an das verlorene Paradies – sie stehen bleiern beziehungslos als fremde Orte im Fokus der neonroten Laser-Suchstrahlen. Auf der Sinnsuche gibt es schließlich doch nur das Ankommen im eigenen Ich, dem einzigen Ort: Solus Locus.

Solus Locus, das ist auch der Titel der raumfüllenden Installation im Westraum. Die Künstlerin definiert hier den Einen Ort der Sehnsucht, der räumliche Abgrenzung von den Widrigkeiten der vernetzten Körperwelten-Gesellschaft versprechen könnte. Der sozusagen ein Ruheraum für die verletzte Seele sein könnte, in dem die Anwesenheit ohne Zweck, das pure Sein also, zum Ereignis werden könnte. 6 gleiche voluminös gewölbte strahlend weiße Formen mit tief orange-rotem Innenleben schweben in unterschiedlichen Höhen wellenförmig sanft im Raum. Viele Assoziationen bieten sich wie von selbst an, allesamt Metaphern für Behausung, Schutz, Vertrauen, Wandlungsfähigkeit oder Verheißung. Aber Vorsicht – die scheinbar intakte unschuldig reine Hülle öffnet sich gleichzeitig als ihr eigner Widersacher, ist schutzlos ausgeliefert an brutale Verletzungen, an sexistische Lockungen, an Ausnutzung und Gewalt durch Spitzen und Stachel. Im Circulus vitiosus eines immer frecher vernetzten öffentlichen Blickfeldes wird das Opfer zum Täter und umgekehrt. Kein Tabu, kein Recht auf Privatheit wird geachtet: Selbstzerfleischung, Gewalt und Abwehr als Prinzip äußerer Harmonie, das geht im Wortsinn unter die Haut.

Eine kontrastierende Variation des Themas ist das Environment im zweiten Kabinett, die emotionale Kälte hat sich hier entäußert. Sie entspringt tief im Innern des Ich aus den leuchtend schönen, digitalisierten körpereigenen Eisblumen. Auf Schnee und schwarz gefrorenem Grund schreibt sich wie aus automatisierter Schockhandlung der Song-Text von Winter was hard in- und übereinander, es brodelt die Verzweiflung unter der Eisdecke – wer dächte da nicht ummittelbar an Schuberts Winterreise, besonders an Nr. 11...Ich träumte von bunten Blumen, so wie sie wohl blühen im Mai...Doch an den Fensterscheiben, wer malte die Blumen da...ihr lacht wohl über den Träumer, der Blumen im Winter sah... Aber es gibt auch was zu kaufen: An den Wänden hängen sie attraktiv verpackt in handlicher Klarsichttasche mit Herkunftszertifikat, in Reih und Glied wie im Kaufhausdisplay: Hier bieten sie sich an wie sonst hinter Fensterscheiben, inhaltlich reduziert auf das Nötigste. Hier gibt’s sie gleich im Dutzend billiger, vielleicht geklont, weil wirtschaftlich effektiver, und wie zum Hohn strahlen sie mit ihren Pelzchen noch Wärme im Schneebett aus – eine bissige Hommage an Walter Benjamin und sein Zeitalter der Unbegrenzten Reproduzierbarkeit.

Es bleibt Winter, zumindest hier im großen Oberlichtraum.

15 große Objekte in der typischen anthromorphen Form aus Holz und Papier sind in Eisen-Gestellen gestapelt, die Regalcharakter haben und deren Stabilität offensichtlich überschätzt ist – mit Getöse stürzen Teile ein, die Elemente fallen durcheinander. 7 kleinere Objekte, die Sirenen, die nach der griechischen Sage mit ihrem lautlosen Gesang jeden betören, sind an der Wand vertikal streng angeordnet. Vogelhäuser der ganz einfachen Art in Reih und Glied komplettieren wie die berühmten little boxes den Hauptraum der Ausstellung. Die Farbe ist reduziert. Papiere in rohfarben, schnee-weiß, eisblau suggerieren Kälte, und auch das innere, fast verborgene Rotorange scheint vom Begriff der Warmen Farbe abstrahiert.

Es entsteht eine gespannte, eisige Stille, die einen frösteln lässt, trotz der erdigen Qualität des Himalaja-Papiers, trotz der faserigen aus Elefantendung, und trotz der Pelze und Strickgarne, die als Material mit verwendet werden.

Ist es mit unserer Gesellschaft schon so weit gekommen? Die Künstlerin beobachtet, wie die emotionale Kälte zunimmt, die Individualität verloren geht. Das Thema Gentechnik steht im Raum. Das Urbedürfnis des Menschen nach Sicherheit, Annerkennung und Geborgenheit wird kaum noch ausgebildet, die westlichen Familienstrukturen erfüllen ihren Sozialauftrag nur bedingt. Auch die Weltsituation ist so unsicher wie lange nicht, feste Bezugspunkte geraten ins Wanken, Angst und Verletzlichkeiten nehmen zu.

 

Barbara Lorenz Höfer zeigt uns die Manipulierbarkeit aus Angst, den Massenwahn im Kaufhaus-Display, die Kettenreaktionen der Verzweiflung und Vereinsamung mitten in der Gesellschaft. Auch das Haus, Inbegriff von Gemeinsamkeit, Schutz und Leben spendender Wärme, ist hier so hoch angebracht, dass man es kaum erreichen kann. Vereinzelung strahlt es aus, trotz seiner Heimeligkeit, und wird schließlich zur bösen Täuschung: der Einstieg ist verschlossen... gerade so, wie es in Heinrich Heines Deutschland – ein Wintermärchen an so mancher Stelle bitter nachzulesen wäre.

 

Aber abschließend führt uns diese Ausstellung doch aus der Hölle der Isolation heraus, unmittelbar in den Himmel hinein. Wenigstens ein Teil der großen Himmelskörper – Installation leuchtet hier und möchte uns den Himmel auf Erden zeigen. Gleichzeitig erinnert er uns an unsere Teilhabe am Universum, die auch Verantwortung für die Zukunft einschließt, nämlich ein

Menschliches Handeln, als gehe es immer um Alles, und nicht um den Vorteil des Einzelnen - eine schöne Utopie?

 

Jutta de Vries

1. April 2006

Zeichnungen zur Installation heimatortlos von BLH

Fotos aus der Ausstelltung Ebersberg (VG Bildkunst) 

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