Bericht vom 14.11.2011
66. Sommerliche Musiktage Hitzacker – Familienbande
Ein Abschlußbericht
© Jutta de Vries
66. Sommerliche Musiktage Hitzacker – Familienbande
Familienbande, das ist ein mehrdeutige Geschichte: Schön aufdröseln konnte man das beim diesjährigen Themenfestival in Hitzacker, denn es gibt ja nicht nur die genuine Familie, sondern auch zum Glück die Wahlverwandtschaften, und dazu gehört die große Festival-Familie, die sich seit 66 Jahren regelmäßig, stets sich erneuernd und vergrößernd, am Elbufer einfindet. So steht das diesjährige Thema auch nicht ohne Bedeutung für den Abschied des Festivalchefs Dr. Markus Fein vom Kammermusikhügel, der durch sein Profil zum Kammermusik-Zenit geworden ist. Begeisterter Dank überflutete ihn dann geradezu beim Finale.
Markus Fein wählte das Thema jedoch mit Blick auf Musikerfamilien: den Anstoß gab die aus Moldawien stammende Vollblut-Musikerfamilie Patricia, Emilia und Victor Kopatchinsky, an deren musikalischer Ausstrahlung und brennenden virtuosen Intensität an der Schnittstelle zwischen Volksmusik und Klassik die Festivalfamilie mit Begeisterung teilhatte. Weitere Musikerfamilien kommen zu Gehör: Vater und Sohn Brendel und der virtuose jugendliche Ziehsohn Kit Armstrong; von den Musikerfamilien der frühen Neuzeit kündete sensitiv und aus der Stille heraus die Gambenfamilie unter Leitung von Hille Perl; das erfrischende Familienquartett Skride mit Baiba, Linda, Lauma und Mutter Liga kam mit Schubert, Prokofjew und Brahms in wechselnden Besetzungen; ein Höhepunkt: das multimediale Feature um den Salon der Familie Wittgenstein in der Ära des ausklingenden großbürgerlichen Mäzenatentums, bravourös: Kirill Gerstein im Konzert für die linke Hand von Maurice Ravel, für den kriegsversehrten Paul Wittgenstein geschrieben.
Im Profil auch der Tag mit den Mendelssohns: Hanjo Kesting las, stundenlang hätte man ihm zuhören mögen. Lauma Skride überraschte mit Fannys reifer Jahreszeiten-Komposition. Höhepunkt des Tages, wenn nicht der gesamten Festspiele: die Interpretation des Streichquartetts Nr. 6 f-moll op80, entstanden Im Schmerz um den Verlust der geliebten Schwester. Das britische Elias String Quartet entwickelte sein perfektes und lupenreines Zusammenspiel hier hin zu einer Topographie der Klänge und Farben, zu körperlich spürbarer Intensität der Gestaltung, wie sie nur eine tiefe musikalische Fähigkeit zum Miterleben, zur Empatie, hervorbringen kann.
Zum Beginn der Woche ein Trommelwirbel der Gefühle: Nike Wagner stellte in einem glänzenden, scharf profilierten Vortrag den Mythos der Familie Wagner dar, umrahmt vom Göttinger Sinfonieorchester mit dem „Siegfried-Idyll“ ihres Urgroßvaters Richard Wagner und der “Ungarischen Rhapsodie Nr 2“ ihres Ur-Urgroßvaters Franz Liszt, dessen 200. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. So blitzt sein Werk auch im Festival-Programm immer wieder auf, das diesmal wesentlich weniger Neue Musik enthält als in den vergangenen Jahren. Jetztzeit-Komponisten-Familien scheinen dünn gesät.
Kennedy-Clan-Session, Blues Brothers im Open-Air-Kino, Festival Walk und Familienfest sind als Crossover der allgemeinen Event-Idee geschuldet und rundeten das Festival auch diesmal wieder vergnüglich ab.
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