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Bericht vom 09.10.2011

Stade zwischen Tag und Nacht

Ölgemälde von Uwe Beyer

© Jutta de Vries

Stade zwischen Tag und Nacht
Ölgemälde von Uwe Beyer in der Kreissparkasse Stade
Text zur Ausstellungseröffnung am 17. März 2011
©Jutta de Vries


Die Stadt, meine sehr geehrten Herren und Damen, ist im Lauf ihrer Jahrtausende alten Entwicklungsgeschichte immer ein interessantes Studien-Objekt für ihre Bewohner gewesen: ihre Bewohner, die generationenlang auch ihre Gründer, Nutzer, Erweiterer, Zerstörer und Erneuerer waren und sind: Bewohner, die ihre Stadt nach den sich wandelnden Bedürfnissen der jeweiligen Epochen gestaltet haben. 


Seit Erbauung der ersten uns bekannten Stadtstruktur in Jericho vor mehr als 8000 Jahren gibt es die vielfältigsten Stadtformen auf unserem Planeten, von der 2000-Einwohner-Schlaföde bis zu den molochartigen Großlandschaften bevölkerungsdichter Länder, die Inhumanität und Bedrohung implizieren, und natürlich auch solche Kuschel-Städte wie unsere Hansestadt Stade. Dabei bedingt die jenige Stadtstruktur, in der wir leben, auch unser Denken und Fühlen, und die Frage, ob der Lebensraum unserer Städte für uns als Bewohner noch lebenswert und heimatlich sein kann, und unter welchen Bedingungen, wird von Soziologen und Anthropologen schon lange gestellt. 


Wie definiert man nun zu allererst mal den Begriff „Stadt“? 
Günther Kälberer, Professor für Architektursoziologie, schlägt folgendes vor (Auszugsweise):


+Stadt ist ein lebender Organismus und ihre Definition daher vom Blickwinkel des Betrachters abhängig
+ deshalb überwiegen je nach Einstellung geografische, historische oder künstlerische Gesichtspunkte
+ Stadt ist durch arbeitsteilige Wirtschaftsformen gekennzeichnet und weist bestimmte gesellschaftliche Schichtungen auf
+ Stadt ist Teil eines übergreifenden Systems und dadurch auf Austausch mit dem Umland angewiesen
+ Stadt ist in ihrem Erscheinungsbild durch historische oder herausragende Bausubstanz gekennzeichnet, die sich von der Masse der übrigen Gebäude abhebt
+ zwei Grundformen von Stadt lassen sich unterscheiden: die geplante „Reißbrettstadt“ und die historisch gewachsene Stadt, die sich den Gegebenheiten und Forderungen ihrer Bewohner über Jahrhunderte hinweg anpasst.


Um den Stadtbegriff im allgemeinen und um unsere Stadt Stade im besonderen geht es heute und noch einige weitere Wochen in dieser Ausstellung, die, versteht sich von selbst, aus dem künstlerischen Blickwinkel betrachtet wird. Sie ist eine gewachsene Stadt, bereits als Siedlung vor mehr als 1000 Jahren angelegt und hat im Kern ihre mittelalterliche Struktur bewahrt. Und in ihrem Erscheinungsbild sind die historischen Sakral- und Profanbauten signifikant.


Doch nun zum Künstler: Uwe Beyer ist seit Jahrzehnten Wahlstader aus Überzeugung. Das Malen ist seine Berufung, denn neben seinem anstrengenden Beruf  als Op-Pfleger im Elbe Klinikum Stade besuchte er bereits als junger Mann seit 1974  Malkurse an der VHS bei Gerhard Quade und später auch bei Carsten Eggers, und immer mit von der Partie war die kleine Tochter Andrea – sie lebt heute nach erfolgreichem Studium als anerkannte Künstlerin in Braunschweig.
Die Ergebnisse der einstigen Freizeitbeschäftigung und heutigen lebensfüllenden Arbeit hat Uwe Beyer auch im Raum Stade immer wieder der Öffentlichkeit präsentiert. Sein bisher größter Erfolg war die Gestaltung des Segels für das Elbe-Klinikum bei der großen Stader Kunstsegel-Aktion 2009, die ihm mit großem Vorsprung den verdienten 1. Publikumspreis einbrachte.


Mit seinen Bildern von „Stade zwischen Tag und Nacht“ bringt uns der Maler das künstlerische Bild eines städtischen Organismus und seiner umliegenden Landschaft nahe, wie es - per definitionem Kälberer - schöner und heimeliger kaum sein könnte.


Hier ist ein Sehnsuchtsort der Geborgenheiten in Häusern, deren Fassaden und vielfältige Giebelzeilen Individualität und Persönlichkeit ausstrahlen und die von der langen erfolgreichen Handelsgeschichte und dem Kunstwollen der Vorfahren Zeugnis geben, deren schmale gewundene Straßen richtungweisende Bewegungsabläufe mitteilen, deren Dächer und Kirchtürme Identität geben, deren Hafen von vergangenem Hanse-Ruhm spricht und deren umliegende Landschaften mit heiler Natur an das Paradies erinnern sollen.


Und wer dachte, seine Stadt zu kennen, muss manchmal ganz schön überlegen und genau hin“kucken“. 


Und das will Uwe Beyer auch unbedingt erreichen, hat er doch erfahren, dass wir Stade-Bewohner im Alltags-Stress kaum noch genau hinsehen, uns kaum noch von den Schönheiten der Architekturen, Bauzieren und historischen Stadtraum-Situationen gefangen nehmen lassen, sondern einfach als gegeben hinnehmen, was in den  1970er Jahren, vor dem Einsatz der denkmalpflegerischen Wende einmal beinahe in Gefahr war – rufen wir uns unter diesem Aspekt nur  einmal den Pferdemarkt-Kaufhausbereich vor Augen, ganz abgesehen von der bereits in früheren Zeiten zerstörten Bausubstanz.


Kurz, der Maler freut sich an diesem nun sorgfältig gepflegten Stadtkern, auf dessen erhaltenem mittelalterlicher Straßengrundriss neben großartigen Bauwerken aus Romanik und Gotik vor allem barocke und historistische Bürgerhäuser in Fachwerkbauweise dominieren, und er sucht sich ganz besondere Blickwinkel und Perspektiven, um seine Motive und Motivausschnitte in den Fokus des Betrachters zu rücken. Dabei behält er den Gegenstand und die Örtlichkeit bei, befolgt aber den Rat, den vor 65 Jahren schon Alfred Mahlau, Prof an der Hamburger Kunstschule Lerchenfeld, seinem jungen Studenten Horst Janssen gab: (sinngemäß) „...das Kucken ist das wichtigste. Beobachte alles ganz genau, und dann malst Du nur,  was für Dich wichtig ist.“ 
Nebenbei bemerkt hat auch schon Caspar David Friedrich vor  200 Jahren mit berühmten Worten das gleiche gesagt: “Schließe Dein äußeres Auge und gib nur wieder, was Du in Deinem Inneren siehst“.
Uwe Beyer kuckt. Und schließt das äußere Auge.


Seine Technik ist die Ölmalerei, wobei die Stilmittel je nach Sujet und Licht variieren. Mal liegt die Farbe in vielen Schichten lasiert tiefgründig satt oder sanft schimmernd da, mal springt sie in hingeworfenen Flecken durch den Sommerwind, löst sich in Spiegelungen, da und dort sind pastose plastische Bereiche angesagt, dann ganz durchscheinend aquarellähnliches Gewolke, das den Grund durch scheinen lässt, es wird gewischt, geritzt, getropft, aber alles vorsichtig, und mal löst das Licht auch ein dichtes Blattwerk in pointillistisch getupfte Bewegung auf. 


Wie gesagt, das Licht ist es vor allem, das den Maler in Bezug auf seine Wirkung auf die Farbe und ihre tageszeitabhängige und wetterbedingte Erscheinungsform interessiert. Staubhitze, Schneekälte, Regenfeuchte, Morgennebel – wie kann er diese Phänomene mit den malerischen Mitteln unserer Zeit in der zweidimensionalen Leinwandfläche darstellen? 
Hier steht Uwe Beyer ganz in der Tradition der Impressionisten, deren Errungenschaften er in die kräftige expressive Darstellungsweise einer deutlich dem Ausdruck verbundenen Malweise einbindet. Mutig löst sich die Farbe vom Gegenstand, wird vor allem in den Schattierungen komplementär. Und der reichliche Gebrauch eines lebendigen, vielfarbigen Schwarz - nicht nur in den Nachtbildern – sorgt für rhythmischen Kontrast zur Leuchtkraft der fast reinbunten Farbpalette. Auch wird das formale Gerüst der Darstellung gern mit Hilfe von dunklen Linien in Bewegung gebracht, stabilisiert oder in die Tiefen des Raums geführt.


Uwe Beyer nimmt uns mit in diesen Traum, auf  ständig neue Stadtspaziergänge, ganz besonders in den diffusen Übergangszeiten, „Zwischen Tag und Nacht“, wie der Ausstellungs-Titel schon andeutet. Also vor und bei Sonnenaufgang, in der Dämmerung, am Abend und in der Nacht, in Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Dabei sind wir fast immer allein unterwegs, nur selten sind Stadt und Land mit menschlichem Leben erfüllt. 


So ähnlich muß es den Dichtern gegangen sein, die eine Sehnsucht nach ihrer Stadt in Verse fassten, wie Joseph von Eichendorff im 18. Jh eins unserer Lieblingsgedichte:


Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus. . 
Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus ins stille Feld,
Hehres Glänzen, stilles Schauen, 
oh wie schön ist diese Welt!


Theodor Storm verfasste die allbekannte Liebeserklärung an seine Graue Stadt am Meer,
Oder auszugsweise der Realist  John Henry Mackay1888:
 
Stadt meiner Abenteuer,
wie wurdest lieb du mir!

Es flammt ein himmlisch Feuer
verheißend über dir!


Das hellt mir alle Nächte
und ruft mich: Komm nach Haus!

Weit streck ich oft die Rechte
in Sehnsucht nach dir aus . . .


O wie du flammst und leuchtest!
Hell schimmert selbst die Flur –
Ich war ein Tor – :
einst däuchtest
du arm und klein mich nur,


Als ich die engen Gassen
mit lässig-müdem Schritt

Verbittert und verlassen
in Schweigen niederschritt.
 
Oder der Expressionist Erst Stadler 1911: 
 
Der Abend spricht mit lindem Schmeichelwort die Gassen

In Schlummer und der Süße alter Wiegenlieder,

Die Dämmerung hat breit mit hüllendem Gefieder

Ein Riesenvogel sich auf blaue Firste hingelassen.

In späten Himmel tauchen Türme zart und ohne Schwere,

Die Ufer hütend, die im Schoß der kühlen Schatten schlafen,

Nun schwimmt die Nacht auf dunkel starrender Galeere

Mit schwarzem Segel lautlos in den lichtgepflügten Hafen.


Und zum Beschluß möchte ich Ihnen noch den Existenzialisten Georg Heym mit „Nacht in einer kleinen Stadt“ (1912) in Erinnerung rufen:
 
Der Mond stand auf den Giebeldächern,

Er glänzte tief durch das Geäst

Der hohen Linden und der Nachtwind

Trug ihren Duft zum Fenster her.


Am Himmelsgrund zog eine Wolkenwand

Gewitterschwer, weit hinten überm Strom.

Und ab und zu huschte ein bleicher Schein

Hinauf, und Donner grollte fern.


Und da, von einem hohen Baum

Ganz nah, löste ein heller Klang

Sich, stieg empor, schwebte im Glanz und starb.

Der Nachtwind klagt im Laube nach.
 
In diesen Sehnsuchtsgedichten haben wir vieles wieder gefunden, das auch der Maler Uwe Beyer in seinen Stadtansichten von Stade vermittelt. Wesentlich ist die Wirkung des Ortes an sich, der wie aus weiter Ferne und bedeutungsvoll zu uns herüber winkt und auf bewahrende Achtsamkeit hofft. 
Menschliche Präsenz gleichwohl zeigt sich in den Spuren seines Handelns, in der kultivierten Natur, in der gebauten Größe. Stille bringt Erhabenheit ins Bild, Überhöhung und Anbetung sind da nicht mehr weit. Es trifft die bewunderte Zivilisation vergangener Jahrhunderte auf das Auge von heute, das sich aus dem lauten, dramatischen Geschehen einer globalen Welt genau hierhin, in diese schützende harmonische Bildwelt, zurück ziehen kann um neue Kraft zu tanken. 
Und das danken wir dem Künstler Uwe Beyer.






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