Bericht vom 17.02.2006
Vom Klang der Neuen Welt – Amerika in der Klaviermusik
Pianist Christoph Ullrich spielt im Kulturkreis-Rathauskonzert
© Jutta de Vries
"Spielen, was da steht, genügt nicht!" Christoph Ullrich sagt’s und demonstriert sogleich, was er meint, am Beispiel von Aaron Coplands Piano Blues No.2. Genau, das ist es, dieses Swing-Gefühl, das tief von innen kommen muss, um ehrlich und amerikanisch zu wirken, um die Zuhörer zu bewegen, sie mit zu reißen in den Schmelztiegel der fernen musikalischen Wurzeln.
Und das gelingt Ullrich ganz wunderbar. Seine lockere Art in die amerikanische Klaviermusik einzuführen, wird von den wenigen Konzertbesuchern am Freitagabend im Königsmarcksaal freudig als beinahe familiäres Gespräch erlebt.
Ullrich spaziert als geschickter Entertainer und erfahrener, spritziger Pianist durch das vergnügliche Text- und Musikprogramm wie über einen breiten Boulevard mit Glitzer-Angeboten.
Höhepunkte gibt es viele im 20.Jahrhundert, wie z.B. den Klangfanatiker John Cage. Für seine Sonata No.5 von 1948 präpariert Ullrich in der Pause die Saiten mit Nägeln und Plastikstreifen nach genauen Vorgaben des Komponisten. Das sinnliche Klangerlebnis ist beeindruckend, vor allem, weil Ullrich das Publikum am Prozess teilhaben lässt. Gershwin, Copland, Barber und der noch greifbar nahe Leonard Bernstein mit ihren klassisch verformten Amerikanismen werden jetzt viel intensiver durchhörbar, denn die unterhaltsame historische Hinführung vor dar Pause macht’s möglich.
Was für eine Zeit, von der Mitte des 19. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert, in der die idealisierten Maschinenklänge, die stampfenden Arbeitsrhythmen, die Heimat-Sehnsüchte der schwarzen Südstaatler, die Percussionsklänge aus Mittel- und Südamerika in die Weltmusik eingebunden wurden! Und dann die „ Golden Twenties“, die im Sound der Neuen Welt mit Ragtime, Blues, Swing und Cake Walk Europa elektrisierte. Mit berühmten Beispielen von Louis Moreau Gottschalk über Satie bis Hindemith lässt Ullrich jene Zeiten lebendig werden, kostet besonders das versteckte Tristan-Motiv in Debussy’s „Gollywogg’s Cake Walk“ aus. Wer hat’s gewusst? Und wer, dass die Sarabande ein alter Tanz der Mexikaner ist, der erst mit den Eroberern nach Europa kam?
Bachs Sarabande aus der Partita Nr 4 hört man da gleich mit ganz anderen Ohren, zumal Ullrich sich nicht verkneifen kann, dem alten Bach den Blues zu geben, mit Pedal, Rubato und – wie könnte es anders sein an diesem Abend - mit dem gewissen Quantum Swing.
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