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Bericht vom 14.08.2009

Sommerliche Musiktage Hitzacker

“Leuchtturm“ im Musikland Niedersachsen

© Jutta de Vries









Der Sommer geht, die Festival-Bilanzen kommen : die Global Players der Event-Maschinerie haben flächendeckend wie jedes Jahr für Schlagzeilen gesorgt, und vielfach hält sich hartnäckig die Ahnung, dass  gesternte Namen wichtiger als die Musik und ihre Rezeption gehandelt werden. Ob das auf Dauer und in Krisen-Zeiten genügt, bleibt abzuwarten – hinter vorgehaltener Hand munket es schon von « Festi-Fall » .


In Niedersachsen geht das  älteste deutsche Kammermusik-Festival, die 64. Sommerlichen Musiktage Hitzacker, seit Jahren ganz andere Wege. Die « Leuchtturm »-Funktion, die von Niedersachsens  Wissenschafts- und Kulturminister Lutz Stratmann zur Begrüßung lobend hervorgehoben wurde, könnte treffender nicht sein : beinahe still und der sanften, glückhaft abgeschiedenen Elbtalauen-Landschaft gemäß, sendet das Festival seine Signale und kommt dabei ganz ohne roten Teppich und Schicki-Micki aus, ohne Abendkleid und Smoking, auch ohne Affairen und yellow press.  Im annähernd ausgebuchten Wochenprogramm sind Wiederbegegnungen an der Tagesordnung, Gespräche und Diskussionen entstehen wie von selbst, die Festival-Familie feiert sich und die Künste in einem kleinen MusiKosmos..


Wie in den Jahren zuvor hat der kreative, mit allen Bildungswassern gewaschene Kreuz-und-Quer-Kopf der Musiktage, Intendant Markus Fein, auch für dieses Jahr ein faszinierendes, alle Kunst-Sparten umgreifendes Programm komponiert.
« Europa » als Kardinalthema gibt ihm Gelegenheit für eine Grand’Tour mit vielen Perspektiven : die Jubilare Haydn und Mendelssohn werden geehrt, die Anfänge Europäischer Musik in der Gregorianik vorgestellt ; auch die Heiterkeit kommt nicht zu kurz, wenn die Alpen als herausragendes  europäisches Gebirgsmassiv mit  einem kompletten Alphornensemble thematisiert werden, das nicht nur im Konzertsaal, sondern  auch auf dem erfrischenden Festival-Walk in freier Natur an der Elbe musiziert und damit prompt zum «Elb-Horn» mutiert.
Interaktionen Europas mit Musik der Welt verblüffen schon am Eröffnungsabend, wenn das türkische Ensemble Sarband mit orientalischen Instrumenten, Stimme  und zwei Mevlevi-Derwischen gemeinsame Sache macht mit dem klassischen Ensemble Resonanz und einem Tanzpaar des HamburgBallett, sich zum Walzertraum zwischen Orient und Okzident vereinen – da werden Ohren  und Augen konnotative Dimensionen erschlossen. 


Im folgenden entfalten sich die 1000 Facetten Europas in weite musikalische Weltgebäude mit ausgezeichneten Musikern, darunter große Namen wie Roman Trekel (Bariton), der Schauspieler Michael Degen oder das Gamelan-Orchester Arum-Sih.
Besonders spannend ist jedoch die junge schon profilierte Elite der Künstler, die Markus Fein mit sicherem Gespür aufs Podium holt, wie das wunderbar sensible Boulanger-Trio, die zupackend und gleichzeitig zart gestaltende Pianistin Olga Scheps oder Pianist José Gallardo, der als  Kammermusikpartner herausragende Impulse gibt. So manche große Karriere hat in Hitzacker  schon begonnen !


Die Zukunft ist es auch, die einen breiten Raum im Programm einnimmt, der beachtliche Anteil zeitgenössischer Musik wird noch gekrönt von drei jungen Composers in Residence, die mit mehreren Kompositionsaufträgen durchweg im Gespräch sind: der hoffnungsvolle  erst  22jährige Benjamin Scheuer aus Hamburg mit viel spielerischem Talent und Sinn für dichte, starke Effekte; Eivind Buene aus Norwegen, der seine Musik aus der Stille heraus kommen läßt und für den die Pausen klingen müssen; und Gunnar Karel Másson aus Island, dessen strenges Werk von Kontrasten lebt.


Ein unbestrittener Gipfel in der Musiktage-Landschaft ist die Verleihung des Belmont-Preise 2009 der Forberg-Schneider-Stiftung an Marino Formenti. In ihrer gesellschftspolitisch blitzenden, geradezu literarischen  Laudatio beschrieb die Stifterin Gabriele Forberg-Schneider den aus Italien stammenden Dirigenten und Pianisten  als « Konzeptkünstler mit radikalem Eigensinn…Alle seine Projekte nähren sich aus einer nervös-neugierigen Verliebtheit für bestimmte Stücke. Er nimmt ihnen nie ihr Geheimnis, setzt Ihnen aber auch keines auf. Er bestaunt sie so lange, bis sie anfangen, Dinge zu offenbaren, die man bisher nicht von ihnen erwartet hätte. Alles scheint wie immer, und doch ist alles ganz anders  » 
So ist auch das Preiskonzert ein dialektisches Projekt, in dem Formenti die spröde Klavierfassung von Haydns « Sieben letzte Worte des Erlösers am Kreuz» mit dem monadologisch (mit Hilfe von kleinsten Ausgangszellen) dazu komponierten Kommentar « Le Tombeau de Haydn » von Bernhard Lang (*1957) verbindet. Die Aufführung wird zum meditativen Erlebnis, über das ganze Seiten zu schreiben wären…


Die lebendige Aktualität des Musiktage profiliert sich  spektakulär in den Rahmenprojekten.
Von der « Demokratisierung des erweiterten Musikbegriffs « wäre hier zu sprechen, denn die Gäste werden zu aktiver Teilnahme am Festival motiviert :
Da gibt es die Hörerakademie, in der mit Künstlern und Publikum die Programme des Tages diskutiert werden, die Festival Fellow Jugend Akademie, die Stipendien für ein Musikvermittlungsprojekt für Schüler während der Festiva-Zeit bereitstellt, das Kreativlabor für jugendliche Gäste, das Chorsingen für alle, das Hausmusik-Kursprojekt und allem voran der ganztägige Festival-Walk durch die einzigartige Umgebung Hitzackers – alles zusammen ist Erolung und Anregung pur für Körper, Geist und Seele.


Für DTKV-Mitglieder als Musikvermittler lassen sich hier viele Anregungen holen – vielleicht ein Ferientipp für 2010 ? Dann feiern die Sommerlichen Musiktage den runden 65. Geburtstag.


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