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Bericht vom 04.06.2016

STADT-LAND-FLUSS

Einführung in die Ausstellung mit Arbeiten von Hanna Malzahn

© Jutta de Vries

STADT-LAND-FLUSS
Einführung in die Ausstellung mit Arbeiten von Hanna Malzahn
Kunstverein Glinde
2. Juni 2016-05-25
©Jutta de Vries


Erinnern Sie sich noch, sehr geehrte Herren und Damen, mit wie viel Eifer Sie als Kinder oder Eltern mit Ihren Kindern dieses berühmte Geografie-Spiel immer und immer wieder gespielt haben?
Einer sagt still für sich das Alphabet auf, der andere ruft irgendwann „Stopp“ und dann ist es ausgerechnet Q oder X, mit dem man sich abplagen muß , um Stadt-Land-Fluß-Berg-Namen zu finden – nicht selten sind auf diese Weise auch tolle Fantasie-Bezeichnungen entstanden, die zu viel Erheiterung beitrugen.


„Stadt-Land-Fluß“  von Hanna Malzahn hat genau diese Anmutung von Universalität, und wir müssen auch hier oft überlegen, was wir eigentlich kennen und nur noch nicht finden können. „Fragmente der Welt“  heißt eine Arbeit, und dieser Titel kann hier für die gesamte Ausstellung als 
Oberbegriff stehen. Denn tatsächlich baut die Künstlerin ihre Bilder aus unterschiedlichsten bildnerischen Elementen  auf: mit den Mitteln der Grafik, der Papier- und Material-Collage,  der Monotypie, des Prägedrucks oder der Lasierung von Farbflächen in Acrylmalerei werden wir in Welten entführt, die wir genau SO zu kennen meinen, und dennoch sind es Wunschtraum-Gebilde, Teile eines Ganzen, die sich zuweilen als Luftschlösser fortsetzen und eine weite Vernetzung von Erinnerungswerten bieten, wie es sie als Abbild an einem Ort der Welt niemals geben kann.
Surreale Ideen lassen sich besonders gut mit den Mitteln der Collage bildnerisch umsetzen. Da finden wir eine Parallele zu Hanna Malzahns Namensschwester Hannah Höch, die genau vor 100 Jahren die Collage in Deutschland entwickelt hat, aus den Anfängen der beiden Multikünstler Braque und Picasso heraus. Für die satirischen Denkanstöße der Gruppe DADA hat Hannah Höch als einziges weibliches Mitglied in Berlin großartige Impulse gegeben, sie hat die Möglichkeiten der Technik in Verbindung mit Grafik und Malerei schon früh gesehen und ist ihr bis ins hohe Alter treu geblieben.
So könnte Hanna Malzahn vor allem in den drei ganz aktuellen, neuesten „Urbanität“ benannten Werken durchaus Höchs Enkelschülerin sein.


Hanna Malzahn nimmt für Ihre surrealen Reisen stets Hamburg, ihre Heimat , als Ausgangspunkt, geht  schon mal mit New York oder Paris eine schöne Symbiose ein, macht einen Abstecher nach Palmyra oder stellt das St.-Pauli-Theater auf den Eiffelturm, der Topkapi-Palast schwebt – o Graus für Herrn Erdogan – an den Wassern der Elbe, die übrigens auch mit dem Yangtsekiang gemeinsam fröhlich die Silhouette von Shanghai spiegelt; viele interessante Bekannte finden sich, und auch die gescholtene Elbphilharmonie ist dabei. Das Thema wird von vielen Seiten beleuchtet, auch in Serien durchgearbeitet,. Hier sind es z,B, die „Brücken“ oder die „Hafen-Ansichten“, erstmals auch Nachtbilder. 
Eine besondere Liebeserklärung an ihre Stadt HH verbirgt sich im Freihafen–Bild mit seinen strengen Brückenrastern im Hintergrund, in denen sich alte Hafenansichten öffnen. Die Künstlerin arbeitet hier mit  Buchstaben und Text-Chiffren, „STA(D)T(T)-LICH“ war dieser größte Europäische Zollhafen einst, nun ist die Zollgrenze für das „Utopische“ gefallen – H.M kann aufbrechen mit neuen Phantasien zu neuen Ufern – ein Hinweis auf die ganz neu gewandelte Werkauffassung, die in dieser Ausstellung präsentiert wird. 


Hanna Malzahn, die in ihrer Berufszeit Mode- und Textil-Designerin, Kunsttherapeutin, Kunstgeschichtlerin und Pädagogin in der Berufsschul- und Lehrerausbildung war, startet seit 2009 mit dem eigenen Atelier so richtig künstlerisch durch.  Das Thema Architektur-Landschaft kristallisiert sich seit längerem in ihren Arbeiten heraus, am Anfang standen die spielerischen Baukasten-Städte aus leuchtend reinbunten geometrischen Formen,  über- und ineinander geschachtelte Phantasieorte, die aus orthogonalen Rasterfeldern entstanden zu sein scheinen und in ihrer Harmonie an Werke der Expressionisten erinnern, vielleicht wäre die berühmte „Tunisreise“ von Klee, Moillet und Macke hier zum Vergleich heranzuziehen.  Mit diesen fröhlichen Arbeiten ist Hanna Malzahn bekannt geworden. Ein einzelnes farbenprächtiges Beispiel ist mit „Kloster“ auch in der Ausstellung vertreten.
Die aktuellen Arbeiten sind ganz anders, eine Entwicklung oder eine neue Sichtweise auf das Thema hat zu einer Befreiung der Bildgegenstände und zu sprechenden Aussagen geführt, über das Dekorative hinaus. Von der statisch-kubistischen Reihung und Schichtung lösen sich die Architekturelemente nun, ohne das Gegenständliche ganz zu verlieren und erfinden die Beziehungen zwischen Linie, Form und Farbe in der Fläche des Bildraums neu. Geradezu poetische dynamische Kräfte werden in brisanter Bewegung und aus ungewöhnlichen Blickwinkeln wie z.B. in ausschnitthaften Nahsichten, (Brücken-Bilder) in Szene gesetzt und starten unmittelbar den frenetischen Tanz durch die globalen Welten: es wird verwegen in eine rote Sphäre collagiert und weiter gebaut oder die Architekturen wuchern über den Bildrand hinaus. 


Die für Hanna Malzahn charakteristischen direkten, reinbunten Farben sind leuchtenden Zwischentönungen gewichen, es dominieren türkis- und die komplementären rotviolett-Klänge, auch Schwarz-Trübungen kommen vor(Nachtleben). Lasierungen verunklären die Fundamente,  der Grund scheint oft gläsern und diffus, alles wirkt wie im Schwebemodus und ist beinahe an dem Punkt, in sich zusammen zu stürzen – und doch kommen uns keine Zweifel – Irrealität und Wirklichkeit verschmelzen zu Wunschbildern einer heiteren und durchaus technikbewußten Auffassung von Stadt-Haus-Land-Fluß. 


Interessant ist, daß wir die Spuren und Ergebnisse menschlichen Handelns wahrnehmen, aber vom Menschen selbst findet sich keine Darstellung. Die Werke sind also nicht anekdotisch zu lesen, sondern möglicherweise als Metapher für unsere Zeit: das Haus, die Behausung ist als Schutz und individueller Rückzugsraum des Menschen eine frühe Kulturleistung, die heute in anonymen Mega-Städten kumuliert, Fortschrittsglaube hat weltweit zu monumentalen Ergebnissen geführt;  Hanna Malzahns tanzende Bilder fragen somit nach Sinn und Ziel  der Ballungsräume: Wo findet sich da der Mensch als Individuum oder als soziales Wesen?
Auch Denkanstöße beim Thema Wasser: es verbindet im Fluß und mittels Brückenkonstruktion die Welten miteinander, kann nutzbringend und ein großer Wirtschaftsfaktor sein, aber auch verheerende Naturgewalt entfesseln und menschliches Streben zunichte machen.
(wie wir es gerade in den letzten Tagen mit den starken Gewitterstürmen in Süddeutschland erfahren mußten, und Hamburg hat ja auch seine Sturmflutgeschichte).
Wenn Sie nun in den Stadt-Fluß-Landschaften von Hanna Malzahn spazieren gehen, können Sie viel  entdecken: immer wieder Neues an liebevoll eingearbeiteten technischen Details, die Lust am Experiment, die haptisch-strukturale Qualität der  unterschiedlichen Materialien, in denen das Licht flimmert, die fließenden Farblayer und versteckten Zitate – alles führt zu einer ganzheitlichen Bildidee, deren Aussage jede und jeder von Ihnen wieder ganz individuell wahrnehmen wird.


Und in diesen Zusammenhang gehört ganz sicher das berühmte Zitat des  hochverehrten Paul Klee: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar“.
Bildgestaltung und Betrachtung sind demnach also so etwas wie individuelle Schöpfungsakte parallel zur Natur, an denen wir alle als Betrachter hier in dieser bemerkenswerten Ausstellung teilhaben.


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